Apocalypse somehow

Nun, für die Nachwelt muss ich nicht festhalten, wie der Tag des Weltuntergangs für mich persönlich abgelaufen ist. Entweder ist die Erde morgen weg vom Fenster, dann ist niemand mehr da, den das interessiert; oder sie geht nicht unter, und angesichts des völlig überdrehten Hypes der letzten Wochen und Monate – und speziell heute – will niemand für die nächsten 300 Jahre noch einmal das Wort “Weltuntergang” sehen, lesen oder hören.

Aber es könnte passieren, dass man morgen von Bekannten gefragt wird, wie denn mein persönlicher Weltuntergang so ablief. Da mich das bereits jetzt nervt, sorge ich vor und muss dann nur noch antworten: “Lies es doch einfach in meinem verdammten Blog nach!” Alsdann.

Das apokalyptischste Bild, das ich auf meiner Festplatte finden konnte. FOTO: mno

Das apokalyptischste Bild, das ich auf meiner Festplatte finden konnte. FOTO: mno

0:00 Der Tag der Apokalypse bricht für mich in einer Kneipe an. Der Austausch sorgfältig vorbereiteter Weltuntergangswitze mit den Anwesenden wird durch einen neu hinzukommenden Gast torpediert, der darauf hinweist, dass man noch mindestens sieben Stunden Zeit habe, da es in Mexiko erst 17 Uhr nachmittags am 20. Dezember sei. Und wenn die Maya schon so genau mit der Zeit umgegangen sind wie allgemein postuliert, dann wird man ja davon ausgehen können, dass sie sich nach der Ortszeit gerichtet haben.

0:15 Beschließe, die soeben erwähnte siebenstündige Galgenfrist mit Schlaf zuzubringen. Auf dem Heimweg ein erster Vorbote des drohenden Ungemachs: Die Gangschaltung meines Fahrrads geht unter. Während der erste Gang eingelegt war. Na toll – selbst so kurz vor dem Ende hört das Abstrampelnmüssen nicht auf.

5:00 SMS vom Kollegen, dass er die Lokalteil-Presseschau schon mal fertiggemacht habe. Um 5 Uhr morgens! Am Tag des Weltuntergangs! Sage bloß keiner, dass wir Lokalteilredakteure es an Einsatz mangeln lassen …

6:00 … auch wenn wir heute keine neue Titelgeschichte präsentierten. Wozu auch, wer sollte die denn noch lesen, falls das alles letztlich doch so stimmen sollte, was die Mayaspinner vorausgesagt haben. Dieses Vorgehen ist eigentlich nur konsequent. Besser als – wie so viele andere Medien – die Seiten mit einem unlustigen Ticker vollzuklatschen. Äh.

11:20 Natürlich sehe ich die erwähnte SMS von 5 Uhr erst jetzt. Wie ich das hinbekommen habe, sie trotzdem schon vorher zu erwähnen? Ganz einfach: Ich habe beschlossen, dass es blöd ist, so kurz vor dem Ende noch an solch überkommenen Theorien wie der Geradlinigkeit der Zeit festzuhalten und deshalb damit aufgehört.

12:00 In Neuseeland ist die Welt schon mal nicht untergegangen, und da ist schon der 22. angebrochen. Ist das dann überhaupt noch eine richtige Apokalypse, wenn die nicht weltweit funktioniert? Oder bloß so ein Billiguntergang vom Grabbeltisch?

12:42 Verfolge amüsiert den Weltuntergangsticker auf ScienceBlogs. Der Autor berichtet, dass er innerhalb von einer Dreiviertelstunde vier „2012“-Berichte auf ARD gesehen habe. Kurzer Gegencheck: Nein, zurzeit ist auf keinem der an meinem Gerät gespeicherten 20 Programmplätze die Rede vom Untergang. Stattdessen der übliche Brei: Mittagsmagazine, Scripted-Reality-Formate, Sitcoms. So ein bisschen Apokalypse käme jetzt eigentlich ganz gelegen.

13:13 Ein Hubschrauber donnert über das Haus hinweg, nur kurz danach höre ich Sirenen von der Straße. Geht’s jetzt los? War das vielleicht ein Kampfhubschrauber, der losgeschickt wurde, um landende Aliens zu bekämpfen, die apokalyptischen Reiter oder vielleicht auch eine aztekische Gottheit, die sich – ziemlich angepisst darüber, dass die ganzen Idioten andauernd den aztekischen Sonnenstein als Mayakalender bezeichnen – in Form einer flammenspeienden Riesenechse inkarnierte und, eine Schneise der Verwüstung schlagend, auf die Stadt zubewegt? Aber warum Oldenburg und nicht Tokio?

13:19 Beim Verfassen des obigen Eintrags fiel mir auf, dass ich trotz der omnipräsenten Berichterstattung über dieses, ähm, Ereignis nirgendwo auch nur ein Sterbenswörtchen darüber gelesen habe, wie genau die Welt eigentlich untergehen soll. Explodiert sie spektakulär? Rast sie urplötzlich in die Sonne? Taucht ein gigantischer Meteor auf und bratzt mitten in sie rein? Oder verschwindet sie in irgendeine andere Dimension und macht dabei ein irgendwie peinlich klingendes Geräusch? Das fände ich beklagenswert – man will doch eigentlich mit Stil untergehen.

14.33 Aber jetzt geht’s los! Ein Ascheregen rieselt vom Himmel. Irgendwo muss der erste Vulkan ausgebrochen sein. Ist auch sobutz kälter geworden. Man erzähle mir nicht, das sei Schnee. Dann wäre doch alles weiß draußen.

15.25 Erste mentale Ausfallerscheinungen und Anzeichen beginnenden Wahnsinns machen sich via E-mail bemerkbar:

16.20 Langsam muss ich mich mit dem Gedanken anfreunden, einen Bus zu besteigen, um noch rechtzeitig vor Feierabend mein Fahrrad aus der Werkstatt holen zu können. Oder nehme ich doch das Auto? Muss ja eigentlich nicht mehr auf Umweltverschmutzung achten.

16:33 Putzig, die ganzen Berichte von Journalisten, die in das Kuhkaff Bugarach gereist sind und nun über den wahnwitzigen Medienrummel lästern, der sich darin äußere, dass so viele Journalisten in das Kuhkaff Bugarach gereist sind.

17:02 Man könnte jetzt den Witz anbringen, dass der Untergang voranschreitet, weil das Licht der Sonne schwindet – aber das haben die Jungs von Spiegel Online in ihrem kurzweiligen Ticker schon vorweggenommen. Und einige Autoren der anderen geschätzt drölf Millionen – und nicht immer restlos gelungenen – Weltuntergangsliveticker ebenfalls. Es wird allmählich langweilig, dieses ganze Geplapper.

Screenshot: koeln-nachrichten.de

Screenshot: koeln-nachrichten.de

17:30 Der Medienterror trägt erste Früchte, wie das Magazin koeln-nachrichten.de zeigt, in dessen Redaktion sich offenbar in den Punkten Formulierungswahl und Artikelillustration auch längst eine apokalyptische Scheißegalstimmung breitgemacht hat: Eine mutmaßlich von den andauernden Weltuntergangsberichten zum durchgedrehen gebrachte Frau sorgt dafür, dass die Schlagzeilenmaschinerie nicht ins Stottern gerät.

17:58 Die Nachricht über die Aussagen der National Rifle Association über die zu ziehenden Konsequenzen aus dem Amoklauf von Newtown lässt den deutlich spürbaren Wunsch entstehen, die Welt möge doch wenigstens an ein paar ganz bestimmten Orten untergehen.

18:41 Ein Blick ins TV-Programm lässt mich verwundert die Augen reiben: Nirgendwo läuft Emmerichs “2012”? Ts. Wenn nicht heute, wann dann? Stattdessen so ein B-Abklatsch namens “2012 – Das Jahr, in dem die Erde gefriert”. Super Titel. Für alle, die den anderen, also viel teureren Kinofilm zum Thema nicht kennen, erzähle ich mal schnell meine Lieblingsszene: Die Helden des Films retten sich in ein Flugzeug und bemühen sich verzweifelt, damit zu starten, während sich rings um sie die Erde auftut, ganze Gebäude in die gerade entstandenen lodernden Klüfte stürzen, überall Wahnsinn und Vernichtung herrscht – nur im Tower des Flughafens ist offenbar ein wackerer Mitarbeiter trotz allgegenwärtigen Chaos pflichtbewusst auf seinem Posten geblieben, setzt die Flugzeugbesatzung davon in Kenntnis, dass sie keine Starterlaubnis hätten – dieser Satz muss in so einer Filmszene kommen, ist vermutlich gesetzlich vorgeschrieben – und beendet seinen Funkspruch mit einem “AAaaaaah”, weil der Tower in diesem Moment in eine Erdspalte kippt.
So, und nach dieser Szene wissen Sie auch, dass Sie nichts verpasst haben, wenn sie sich den Film seinerzeit geschenkt haben.

20:20 Abendessen kochen. Fettig angebrutzelte Weizeneiweißbratlinge. Um Rettungsringe muss man sich ja nun auch keine Sorgen mehr machen.

22:47 Immerhin, auf die Glotze ist halbwegs Verlass in Sachen Postapokalypse – “Falling Skies” läuft, diese merkwürdige Serie um eine von Aliens eroberte Erde, in der selbige wirkt wie ein einziger gigantischer Kasernenhof und der Nachschub an Haarshampoo niemals abreißt. Wer sich mal eine offen militärverliebte, unglaublich klischeebeladene und zugleich zum Würgen patriotisch verbrämte Serie reintun will … ach, was rede ich da, wer will das schon.

9:00 Aufgewacht. Erde immer noch da. Schade – jetzt muss ich doch noch los, zum Biomarktstand meines Vertrauens, um die bestellten Austernpilze abzuholen. Der Markt ist in der Innenstadt. Der Oldenburger Innenstadt. Und das nicht nur am letzten Adventssamstag, sondern gar am letzten Shoppingtag vor Weihnachten überhaupt. Naja, immerhin wird sich das ungefähr so anfühlen wie die Panik, die ausbrechen würde, wenn wirklich die Apokalypse einträfe: Zigtausende von gefährlich aggressiv gestimmten Leuten, die mit wirrem Blick planlos umherlaufen und sich dabei gegenseitig aus dem Weg checken. Hätte ich mir gerne erspart.

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