Reporter mit Grenzen

Die neue Pressefreiheit-Rangliste macht in diesen Tagen die Runde durch den Blätterwald – naja, zumindest Teile daraus. Eine interessante Beobachtung fehlt allerdings in fast allen Artikeln.

Warum eigentlich ZeitungEN? FOTO: mno

Warum eigentlich ZeitungEN? FOTO: mno

Deutschland, so ist dem Bericht zu entnehmen, ist in Punkto Pressefreiheit um einen Platz auf Rang 17 von 179 Staaten abgerutscht; im europäischen Vergleich ist das nicht mehr als ein Mittelfeldplatz. Via dpa-Text fassten viele Medien die Hauptkritikpunkte von Reporter ohne Grenzen wie folgt zusammen: “Problematisch ist hier vor allem die abnehmende Vielfalt der Presse.” Diese abnehmende Vielfalt wird zum Beispiel in der NWZ, aber auch in vielen anderen Blättern, die sich des Agenturtextes bedient haben, anhand der Ausführungen der NGO so erläutert: “Aus Geldmangel arbeiteten immer weniger Zeitungen mit eigener Vollredaktion, mehrere Redaktionen seien 2012 komplett geschlossen worden.”

So weit, so bekannt. Nur: Die – in vielen Artikeln auch direkt verlinkte – Rangliste ist für sich genommen wenig aussagekräftig; eine Liste eben, dem offenbar nicht totzukriegenden Rankingwahn geschuldet. Viel spannender sind die begleitenden Infos, auf die jedoch weitaus seltener verlinkt wird. Im Originaltext von Reporter ohne Grenzen geht es nach der oben zitierten Aussage – an prominenter Stelle gleich zu Beginn des Deutschlandberichts – mit folgendem nicht ganz unbedeutenden Satz weiter: “In vielen Regionen gibt es keine konkurrierenden Printmedien mehr.” Und dieser Satz hat es, Sie ahnen es, “nicht ins Blatt geschafft”, wie man so schön sagt. Nicht nur bei der NWZ – auf Anhieb lässt sich zumindest online kaum ein Artikel einer regulären Tageszeitung finden, in der diese Aussage ihren Platz gefunden hätte. Lediglich Welt online, der Branchendienst Meedia und eine Handvoll Blogs wie etwa die NachDenkSeiten zitieren sie. Dabei kommt ihr, betrachtet man die Medienlandschaft in Deutschland, zentrale Bedeutung zu.

Dem zuletzt 2008 vorgelegten Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung zufolge zählten 2006 etwa 60 Prozent der Landkreise und kreisfreien Städte, in denen insgesamt 42,5 Prozent der Bevölkerung lebten, zu den Einzeitungskreisen; es gab dort also nur eine einzige regionale Tageszeitung mit entsprechender Monopolstellung. In Niedersachsen sind sogar mehr als drei Viertel aller Kreise betroffen, berichtete die taz bereits 2005. Das Ganze ist durchaus kein rein ländliches Phänomen: Von den 80 Großstädten betrifft es nicht weniger als 35, unter anderem bekanntlich Oldenburg – aber auch weitaus größere wie Leipzig oder Karlsruhe zählen dazu. In einem Dutzend weiterer Großstädte verzeichnete der Bericht zwar zwei Abonnentzeitungen, allerdings beide aus demselben Verlagshaus. Diese Entwicklung dürfte sich seither im negativen Sinne fortgesetzt haben – zum Jahresende 2012 hat beispielsweise die Münstersche Zeitung mehrere Lokalausgaben eingestellt; und die Eindampfung der Westfälischen Rundschau sorgt gerade in diesen Tagen für Aufsehen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Und dass die Fusion von Presseunternehmen zum 1. Januar 2013 von der Bundesregierung erleichtert worden ist, dürfte weitere Redaktionszusammenlegungen nach sich ziehen: Die nach dem gemeinsamen Umsatz der fusionswilligen Unternehmen berechnete “Aufgreifschwelle”, ab der für eine Pressefusion die Genehmigung des Kartellamts nötig ist, wurde von 25 Millionen auf 62,5 Millionen Euro verzweieinhalbfacht.

Der erwähnte Mangel an Vollredaktionen wiederum führt dazu, dass in verschiedenen Blättern zum Teil dieselben Inhalte zu finden sind. Das muss nicht so offensichtlich sein wie beim Hunte Report und der Sonntagszeitung - solche inhaltlichen Kooperationen sind, da sich nur noch wenige kleinere Blätter eigene Mantelredaktionen leisten können, gang und gäbe geworden. So ähneln auch die überregionalen Teile der Wilhelmshavener Zeitung und der Ostfriesen-Zeitung nicht von ungefähr jener der NWZ: Das Oldenburger Blatt beliefert die beiden anderen mit ihren Mantelseiten. Das ist nicht verboten, auch nicht sonderlich verwerflich – aber eben auch kein wirklicher Beitrag zur Vielseitigkeit.

Welche ist welche? Ausrisse aus den Titelseiten der NWZ und der Ostfriesenzeitung vom 2. Februar. BILD: Screenshot

Welche ist welche? Ausrisse aus den Titelseiten der NWZ und der Ostfriesenzeitung vom 2. Februar. BILD: Screenshot

Es geht noch weiter im Text von Reporter ohne Grenzen. Zwar findet der Satz “Gleichzeitig investieren Unternehmen und PR-Agenturen steigende Summen, um ihre Inhalte in den Medien unterzubringen” via dpa-Text häufiger Erwähnung in den veröffentlichten Zeitungsartikeln, nicht aber die weitergehende Erläuterung: “Oft werden kommerzielle Inhalte dabei bewusst nicht als Werbung gekennzeichnet, sondern als journalistische Beiträge getarnt oder mit diesen vermischt, um ihre Glaubwürdigkeit zu erhöhen.” Beispiele dafür liefert etwa Bildblog regelmäßig – hier nur ein Beispiel –; es muss aber auch gar nicht immer die offensichtliche Kommerzkeule sein: Auch ohne nennenswerten Geldfluss finden interessengeleitete Inhalte den Weg ins Blatt, in Form von kaum redigierten, teilweise auch 1:1 übernommenen Pressemitteilungen. Beispiele dafür finden sich auch in der Oldenburger Medienlandschaft immer wieder. “In Anbetracht der oben skizzierten Situation ist diese Strategie ausgesprochen erfolgreich, denn Redakteure haben immer weniger Zeit, zu recherchieren und Informationen zu prüfen”, kritisiert Reporter ohne Grenzen.

Weniger Zeitungen, weniger Auswahl, also weniger Qualität? Dazu gibt es auch andere Stimmen. Der Kommunikationswissenschaftler Frank Marcinkowski ist in einer vergleichenden Studie von mehr als 60 Regionalzeitungen zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die journalistische Qualität von Monopolzeitungen nicht wesentlich von der von Blättern unterscheidet, die in einer Konkurrenzsituation agieren – und in manchen Fällen sogar höher liegt, etwa bei dem Punkt “Anti-Provinzialität”. Eine Steilvorlage für die betreffenden Verlagshäuser, aber selbst diese Studie, die die Problematik der Monopolstellung in Einzeitungskreisen ja zumindest teilweise relativiert, scheint von keinem Blatt aufgegriffen worden zu sein. Es scheint, als wolle man den Leser gar nicht erst auf den Gedanken bringen, über das böse “M-Wort” nachzudenken – wer weiß, auf was für Flausen er dann käme.

Also kein signifikanter Zusammenhang zwischen journalistischer Qualität und Ein- oder Mehrzeitungskreis – alles demnach halb so wild? Mitnichten – der Konkurrenzkampf zwischen Regionalzeitungen, sofern es denn einen solchen gibt, werde oft nicht als Qualitäts-, sondern vielmehr als Kostenwettstreit geführt, so der Wissenschaftler, und das gehe zu Lasten der redaktionellen Güte. “Das Postulat der neoliberalen Wirtschaftstheorie, Produzenten bemühten sich bei Konkurrenz tatsächlich darum, das bestmögliche Produkt zum bestmöglichen Preis anzubieten, funktioniere nur dann, wenn die Leser tatsächlich Qualität nachfragen”, so Marcinkowski: “Das ist nicht unbedingt der Fall. Journalistischen Produkten kann man ihre Qualität nicht direkt ansehen, anders, als es bei Autos der Fall ist. Deswegen richtet sich in Medienmärkten die Nachfrage nicht automatisch auf das qualitativ beste Produkt.” Letztlich heißt das: Das Vorhandensein zweier Zeitungen in einem Kreis kann eben auch dazu führen, dass es zwei schlechte sind.

Nur dürfte es, andersherum betrachtet, ebensowenig ein Automatismus sein, dass Zeitungen ohne Konkurrenzdruck  auch zwangsläufig mehr Ressourcen in die Qualitätssicherung stecken – auch Monopolzeitungen arbeiten oft mit dünner Personaldecke, die kaum Kapazitäten für Tiefenrecherche oder aufwendigere Geschichten frei lässt. Und auch wenn sich die Qualität nach Macinkowskis Studie nicht unbedingt am Wettbewerb festmachen lässt – bei der Meinungsvielfalt sieht das schon wieder anders aus. “Wie soll in dieser Monopolsituation der auch aus der Verfassung zwingend abzuleitende Außenpluralismus zu Stande kommen?”, kommentierte etwa Kai Voigtländer, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (djv) Mecklenburg-Vorpommern, 2008 die Presselandschaft in seinem Bundesland: “Der kann sich ja eben nur im Streit, also in der Konkurrenz der Kommentare und recherchierten Geschichten, entfalten.”

Dafür, dass die explizite Erwähnung der Einzeitungskreise im Bericht von Reporter ohne Grenzen in nahezu allen Artikeln unberücksichtigt geblieben ist, sind im Wesentlichen zwei Gründe vorstellbar: Entweder hatte schon der zumeist zugrundeliegende dpa-Text diese Passage nicht berücksichtigt und die Redaktionen keine eigenen Recherchen angestellt – oder die Aussage wurde bewusst ignoriert. Beide Erklärungen würden die deutsche Presselandschaft nicht wirklich schmücken; und man ahnt, dass Deutschland nicht umsonst vergleichsweise schlecht abgeschnitten hat.

Aber was bedeuten schon Betrachtungen über Meinungsvielfalt oder monotone Presselandschaften, wenn man stattdessen einfach ein neues Ranking ins Blatt setzen und die Leserschaft darüber informieren kann, dass Deutschland in Sachen Pressefreiheit immer noch vor dem Sudan rangiert.