Das Geschwätz von gestern

Wie man aus vier Parkplätzen eine politische Grundsatzdebatte strickt und dabei Stimmung macht: Die NWZ nimmt die Grünen aufs Korn – wegen einer Vision, die vor gar nicht langer Zeit mal überparteilicher Konsens war.

Die Pflastersteine des Anstoßes: Parkplätze vor dem Schlauen Haus. FOTO: mno

Die Pflastersteine des Anstoßes: Parkplätze vor dem Schlauen Haus. FOTO: mno

Die Grünen – jetzt wollen sie uns auch noch die Parkplätze wegnehmen. Zumindest ist das der Eindruck, der sich in der vergangenen Woche bei der Lektüre der NWZ aufdrängte. Die Lokalredaktion rief einen „neuen Streit um Streuparkplätze“ aus, macht diesen an einem aktuellen Fall fest und diagnostiziert ein „gewaltiges Konfliktpotenzial“: Vier Autostellplätze vor dem jüngst eröffneten Schlauen Haus am Schlossplatz sollen weg. Die Fraktion der Grünen hatte einen Antrag für den Verkehrsausschuss vorgelegt, nach dem diese vier Plätze, die zu den sogenannten “Streuparkplätzen” zählen, entwidmet und „entweder als Fahrradabstellzone oder als attraktiver Vorbereich“ genutzt werden sollen. In der NWZ  liest sich das so: Streuparkplätze, so erklären die Autoren, seien

„jene Stellflächen, die sich nicht in Parkhäusern befinden, sondern – verstreut – am Schloss, an der Staulinie oder den Wällen. Von den Grünen kommen seit Jahren Vorstöße, diese Parkplätze abzuschaffen. Hintergrund: Auswärtige sollen direkt und ohne Parksuchverkehr die Parkhäuser ansteuern (oder mit dem Bus kommen). Oldenburger sollen gefälligst das Rad nehmen. Unterstützung erhalten die Grünen dabei von der SPD. Neuester Akt: Vor dem Schlauen Haus sollen (zunächst) vier Stellplätze wegfallen. Eine Grünfläche bzw. Fahrradständer könnten dort entstehen, so die Grünen.“

„Zunächst“ seien demnach also die vier dran, heißt es unheilvoll, später dann – anders ist das kaum zu deuten – wohl auch die anderen, die „am Schloss, an der Staulinie oder den Wällen“. Ein Aufschrei geht durch die Reihen Oldenburger Autofahrer: Die Grünen! Sie wollen uns alle ins Verkehrschaos stürzen! Oder ins Wirtschaftschaos, denn angereichert wurde der Artikel – wie auch der Folgeartikel am nächsten Tag – mit Aussagen von Einzelhandelsvertretern, die bei Abschaffung von Parkraum schwere Auswirkungen für Ihre Geschäfte fürchten.

Nur: In dem von der NWZ als corpus delicti angeführten Antrag der Grünen-Fraktion bezüglich der vier Parkplätze ging es überhaupt nicht darum, einen ersten Schritt zur Begrenzung innerstädtischen Autoverkehrs zu tun, sondern um etwas ganz anderes, viel profaneres: den leichteren Zugang zum Schlauen Haus und dessen optische Erkennungswirkung für Ortsfremde. Das lässt sich in der dem Antrag beigefügten Begründung ganz leicht nachlesen:

„Die parkenden PKWs wirken – insbesondere vom Schlossplatz kommend als Barriere für die ganze Hauszeile Schlossplatz. Schon die ersten Tage nach dem Umzug der OTM mit der Tourist-Info gibt es Schwierigkeiten, anfragenden Stadtbesuchern den im Vergleich zum bisherigen Standort (Kleine Kirchenstraße) schwer zu erklärenden Weg zum neuen Domizil (Schlossplatz) zu beschreiben. Eine ansprechende und auffällige Vorplatz-Situation, wertet den Standort zudem auf und kann leichter beschrieben bzw. gefunden werden.“

Von der Abschaffung weiterer Parkplätze, von direktem Ansteuern der Parkhäuser oder davon, dass Oldenburger „gefälligst das Rad nehmen“ sollen, steht in dem Antrag – rein gar nichts. Es ist auch nicht die Rede von „zunächst“, und weder die Staulinie noch die Wälle finden Erwähnung. Nichts von alledem – nur die vier Plätze vor dem Schlauen Haus, die – wir wiederholen uns gerne – einer besseren Zugänglichkeit und Präsenz der darin befindlichen Touristinfo weichen sollen.

2.648 Parkplätze bieten allein die innerstädtischen Parkhäuser; zählt man die Open-Air-Parkplätze am Pferdemarkt und dem Theaterwall dazu, erhöht sich die Zahl auf 3.174 – und die Hunderte Streuparkplätze am Schlossplatz, an der Staulinie, am Heiligengeistwall oder anderswo in unmittelbarer Innenstadtnähe sind da noch gar nicht eingerechnet. Für die so oft beschworenen Shoppinggäste von außerhalb stehen zudem 5.384 Park-and-Ride-Plätze zur Verfügung. Dass der Untergang des Auto fahrenden Abendlandes seinen Ausgang nun bei vier Stellplätzen am Schlauen Haus nehmen wird, erscheint da schwer vorstellbar.

Hier ein Kreuz, da ein Kreuz: Auszug aus dem mit breitem Konsens verabschiedeten Verkehrsentwicklungsplan.

Hier ein Kreuz, da ein Kreuz: Auszug aus dem mit breitem Konsens verabschiedeten Verkehrsentwicklungsplan.

Aber halt, es geht ja eigentlich um “Vorstöße”, die “seit Jahren” “von den Grünen” kämen. Das ist nicht ganz falsch, allerdings auch nur die halbe Wahrheit. Die Reduzierung der Zahl der Streuparkplätze ist kein grünes Dogma, sondern war noch vor gar nicht allzulanger Zeit Konsensziel der Stadtpolitik. Im Dezember 2000 beschloss der Rat – bei nur zwei Gegenstimmen und einer Enthaltung – den sogenannten Verkehrsentwicklungsplan, in dem sich folgende Passage findet:

„Insgesamt zeigt sich die Stellplatzsituation bezogen auf das gesamte Untersuchungsgebiet relativ entspannt; es ergeben sich allerdings räumliche und zeitliche Schwerpunkte hoher Auslastung und fehlender Kapazität. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass in Oldenburg in fußläufiger Entfernung zur Innenstadt jederzeit ausreichend Parkraum zur Verfügung steht […]. Eine räumlich begrenzte, moderate Ausweitung des Parkraumangebotes und eine Verlagerung von Stellplätzen aus dem Straßenraum und von kleineren Parkplätzen hin zu einer zentralen Parkierungsanlage wird als eine den – teilweise einander widerstrebenden – Zielen des Leitbildes am ehesten gerecht werdende Lösung angesehen.“

Bei den Grünen würde man schon gerne wissen, was aus diesen Vereinbarungen des Verkehrsentwicklungsplans eigentlich geworden ist, meint Fraktionssprecher Sebastian Beer. Denn die vom Einzelhandel seinerzeit gewünschte Erhöhung der Parkhauskapazitäten wurde mit den Parkhäusern der Schlosshöfe und der Heiligengeisthöfe seitdem tatsächlich vollzogen, die Streuparkplätze blieben trotzdem, moniert Beer: „Die Kaufleute haben bekommen, was sie wollten – der Rest wurde aber nie umgesetzt.“

Noch einmal: Dieser Plan wurde von allen Parteien unterstützt, auch von der CDU und der SPD, die die NWZ am Freitag als schnelle Eingreiftruppe gegen die Parkplatzvernichtungsfantasien der Grünen ins Feld führte. Es sei damals allerdings eine andere CDU gewesen, meint der heutige Fraktionschef Olaf Klaukien, das sei jetzt ja immerhin zwölf Jahre her. Seit er die Oldenburger CDU führe, positioniere sie sich “eindeutig für die Beibehaltung von Parkplätzen” – und werde deshalb auch der Fortschreibung des Verkehrsentwicklungsplans nicht zustimmen. Die firmiert unter dem Namen “Strategieplan Mobilität und Verkehr” und ist keineswegs alter Tobak: Der Plan wird derzeit im Verkehrsausschuss diskutiert, und in ihm findet sich folgender, an die ursprünglichen Ziele angelehnter Satz:

“Im Innenstadtbereich befinden sich einige wenig funktionale und städtebaulich unerwünschte Streuparkplätze, die nach Möglichkeit und sukzessiv zugunsten anderer Nutzungen aufgegeben und an anderer Stelle kompensiert werden sollen.”

Vorgelegt worden ist aber auch dieser Plan keineswegs von autohassenden Grünen-Fanatikern, sondern von der Stadtverwaltung.

Die Rolle der SPD geht im Übrigen über die der bloßen Unterstützung hinaus. Um so verwunderlicher scheint es, dass SPD-Ratsfrau und Verkehrsausschussvorsitzende Gesine Multhaupt in der Zeitung verlauten ließ, dass sie die Aufhebung der vier Parkplätze vor dem Schlauen Haus ablehne. Was seltsam erscheint, da sie nicht nur den Beschluss von 2000 mitgetragen hatte, sondern noch vor Kurzem Mitunterzeichnerin des von der NWZ erwähnten rot-grünen Positionspapiers zur Verkehrspolitik war, in dem es heißt:

“Streuparkplätze, die immer wieder Anreize bieten, mit dem Pkw direkt in die City zu fahren, müssen aufgehoben werden.”

Warum dieses klar formulierte Ziel allerdings bereits dann über Bord geworfen wird, wenn es um bloße vier – Sie erinnern sich, dass wir von den vier Plätzen am Schlauen Haus sprechen? – Stellflächen vor einem Eingangsbereich geht, hätten wir gerne gewusst, konnten Multhaupt allerdings nicht erreichen. Fraktionschef Bernd Bischoff sagte, dass das Thema innerhalb der Fraktion durchaus diskutiert werde und die SPD “sicher nicht alle Streuparkplätze abschaffen” wolle. Nicht einmal die vier am Schlauen Haus? Ach was, meint Bischoff, diese Plätze seien “doch nicht entscheidend” – da werde “eine Metadiskussion geführt”, mit der letztlich  “Ängste geschürt werden”.

Es bleibt der Eindruck, als wollten die Parteien nichts mehr davon wissen, dass sie sich ursprünglich einmal einmütig für die Reduzierung der Streuparkplätze ausgesprochen hatten und nun so begierig sind, sich davon zu distanzieren, dass selbst ein bedeutungsloser Kleckerantrag wie der zum Schlauen Haus als Messlatte für die Stadtentwicklung herhalten muss. Aus den Reihen der Grünen verlautet, dass man die Berichterstattung der vergangenen Tage als „durchsichtige Kampagne“ ansieht, mit der das Blatt antigrüne Stimmung verbreiten und einen Keil zwischen die SPD und die Grünen treiben wolle. Ob das so stimmt – wer weiß. Auffällig ist immerhin, dass die von der NWZ als Aufhänger verwendeten Schriftstücke – der Grünen-Antrag bezüglich des Schlauen Hauses wie auch das rot-grüne Positionspapier – bereits seit längerer Zeit vorliegen, nämlich seit sieben beziehungsweise neun Wochen. Thematisiert werden sie aber erst jetzt – zu einem Zeitpunkt, zu dem nicht nur die Landtagswahl, sondern auch das Adventsgeschäft vor der Tür steht; mit mutmaßlich vielen, vielen von der Parkplatzsuche genervten Autofahrern. Und die spätestens bei der zweiten Runde um den Innenstadtring einen Schuldigen brauchen, über den sie fluchen können.

Vielleicht hat man in der NWZ-Stadtredaktion aber auch einfach nur ein besonders ausgeprägtes Faible für Parkplatzthemen.