“Das ist unterstes Niveau”

Die Ratsmehrheit hat gesprochen: Filmfestleiter Torsten Neumann muss in diesem Jahr mit einem um gut ein Drittel reduzierten städtischen Zuschuss auskommen. Im Lokalteil-Interview sagt er, was er davon hält – und von den Vorwürfen, die er sich anhören muss.

Die Zukunft des Filmfests im Dunkeln? Leiter Torsten Neumann. FOTO: FF

Die Zukunft des Filmfests im Dunkeln? Leiter Torsten Neumann. FOTO: FF

Herr Neumann, es ist zwei Tage nach dem Ratsbeschluss vielleicht ein bisschen früh für diese Frage, aber ich stelle sie mal trotzdem: Was nun?

Das weiß ich noch nicht. Zu dem, was ich bereits gesagt hatte und was viele, auch diverse Ratsmitglieder, als „Drohung“ bezeichnet haben…

… nämlich mit dem Filmfest in eine andere Stadt zu ziehen…

… kann ich nur sagen: Das ist keine Drohung, sondern eine Einschätzung der Realität, die ich versucht habe, diesen Herrschaften etwas näher zu bringen. Es ist natürlich etwas komplexer, aber wenn man es ganzheitlich sieht, dann ist so ein finanzieller Einschnitt etwas, was sich nach unten potenziert. Es ist also weniger als eine Drohung als vielmehr etwas, wo ich keine Perspektive sehe. Wir haben in letzter Zeit viel positives Feedback von der Oldenburger Bevölkerung bekommen, auch von Leuten, die gesagt haben: „Wir finden noch Wege, das zu finanzieren“ und so weiter – aber das, was ich gesagt habe, steht jetzt erstmal im Raum. Wir müssen das Fest 2012 irgendwie auf die Beine stellen, das muss dann wahrscheinlich mit irgendwelchen Einbußen zurechtkommen – aber es wird ermüdend, wenn man das weiterhin so betreiben muss. Auch die Statements der Politik, die ich jetzt so lese, klingen nicht nach „Ja, wir wollen das Filmfest“ – das geht im Moment ja nur noch auf der persönlichen Ebene und auf unterstem Niveau ab.

Gibt es denn Vergleichsansätze mit anderen Städten, anderen Filmfesten – kurz, alternativen Orten, an denen eine stabilere Finanzierung zu erwarten ist?

Ich würde gar nicht nach solchen Vergleichen suchen – die besten Festivals finden in klitzekleinen Städten statt. Cannes hat 70.000 Einwohner, aber das ist kein Vergleich; genauso wenig sollten wir uns deutsche Provinzstädte suchen und deren Festivals vergleichen. Saarbrücken hat ein Festival, das 40 Jahre alt und strukturell gewachsen ist und das auch mal umkämpft und hinterfragt wurde – ich weiß nicht, was für Budgets die im Einzelnen haben und es steht mir auch gar nicht an zu sagen, mit wem ich uns vergleichen will, das müssen andere machen.
Ich will es aber auch nicht immer wieder gebetsmühlenartig erklären müssen – wir geben schließlich nicht nur jedes Jahr einen Verwendungsnachweis ab, es gibt ja auch einen Pressespiegel, in dem andere sagen, wie sie das Filmfest einschätzen. Wenn das nicht gesehen oder nicht wertgeschätzt wird, muss ich mich nicht noch hinstellen und das lange erklären. Wir haben ein gutes Standing und ich glaube – das kann ich wohl sagen, ohne rot werden zu müssen –, dass es in Oldenburg nicht so viel gibt, das über die Stadt hinaus strahlt. Ich kann mir auch nicht mehr anhören, wie jemand sagt: „Ich empfehle dem Herrn Neumann, einfach mal weniger Gäste weniger einzuladen“ – muss ich demjenigen erklären, was ein Filmfest ist? Ein solches Festival bedeutet, dass die Macher der Filme anwesend sind, darum geht es doch. Dann brauche ich auch keine Filme mehr zu besorgen, dann brauchen wir auch kein Filmfest mehr.

Es gibt aber nun auch Leute, die bezweifeln, dass das Filmfest außerhalb von Oldenburg tatsächlich diese Ausstrahlung und dieses Renommee hat, das immer kolportiert wird.

Ja, das lese ich auch hier und da. Da gibt es ein paar, die vollkommen irrationale Vergleiche anstellen und das Filmfest einfach nur miesmachen wollen. Wenn man sich aber anschaut, was für Reaktionen wir bei den Leuten hervorrufen, die sich damit auskennen, dann ist das, ehrlich gesagt, Schwachsinn.

Grünen-Fraktionssprecher Sebastian Beer hat unverblümt seiner Vermutung Ausdruck verliehen, die Besucherzahlen des Filmfests seien schöngerechnet worden. Was sagen Sie dazu?

Ganz wenig. Ich finde es verwegen, so etwas laut zu äußern. Man kann nicht einfach die Besucherzahlen mal sieben rechnen und dann zu dem Schluss kommen, dass das ja Einnahmen von 100.000 Euro ergeben müsste. Da gibt es Akkreditierungen, da gibt es Einladungen, da gibt es Freikarten, Dauerkarten, die JVA-Screenings, wo alle Insassen die Filme sehen… alles zusammen ergibt diese Zahl. Ich halte es für eine Unverfrorenheit, so was zu sagen – zumal ich gar nicht weiß, warum er das sagt. Was hat er davon? Er vertritt eine städtische Kulturpolitik, die das Festival ja immer noch mit 50.000 Euro fördert – und dann will er das schlechtmachen?

Die Zahl 50.000 ist ja nicht neu – sie entspricht im Wesentlichen der Förderung von 2010, die ja dann nur für 2011 wieder aufgestockt wurde. Und das man in der Haushaltsfrage an Rot/Grün nicht vorbeikommt, ist auch schon länger klar – hat das Filmfestmanagement versäumt, rechtzeitig Kontakt aufzunehmen und seine Interessen zu vertreten?

Ich hatte mich nach dem Filmfest 2010 mit Leuten von den Grünen getroffen, wir haben lange und meiner Meinung nach durchaus erhellende Gespräche geführt. Nach dem letzten Filmfest habe ich mich mit Herrn Krogmann von der SPD getroffen, und auch das war ein Gespräch, aus dem wir mit dem Gefühl rausgegangen sind, uns ein bisschen besser zu verstehen. Und wir reichen jedes Jahr einen Antrag ein – da ist eine Kalkulation drin, da wird die Vernetzung in Oldenburg dargelegt, da sind Pressestimmen beigelegt; da wird also genau begründet, warum wir soundsoviel beantragen. Wie kann man da jetzt sagen: „Herr Neumann muss sich mal vorher mit uns in Verbindung setzen“? Das verstehe ich gar nicht. Ich habe doch mit den Leuten gesprochen, wenn auch nicht mit jedem Ratsmitglied; es kann doch nicht sein, dass mir das jetzt als Versäumnis ausgelegt wird. Und das Beste daran war die Nummer, mir vorzuwerfen, ich hätte denen erklären müssen, wie der Haushalt hätte aufgestellt werden müssen – also, tut mir leid, aber was ist denn hier los?

Wie geht’s jetzt weiter – versuchen Sie, mit den 50.000 Euro auszukommen, sollen noch Sponsoren gesucht werden, um sich der Vorjahressumme zumindest zu nähern, oder wird sich eventuell tatsächlich etwas an den Eintrittsgeldern ändern?

Bei den Eintrittsgeldern finde ich es eine Frechheit, das vorzuschlagen. Auch eine politische Dummheit – wie kann man denn ernsthaft versuchen, eine fehlende Kulturförderung auf die Bürger abzuwälzen? Wir haben normale Kinopreise, die nicht höher und nicht niedriger sind als normales Kino – also, das kommt überhaupt nicht in Frage. Und Sponsoren einwerben… so groß ist Oldenburg auch nicht, und wir haben ja bereits einen ziemlich hohen Anteil an Sponsoren, auch weil wir für diese interessant sind – durch die Mischung aus Independent und Kommerziellem und damit durch Gäste, die ein größeres Medieninteresse erregen. Diese Relation „Weniger Gäste einladen und mehr Sponsoren werben“ funktioniert da nicht, das beißt sich doch selbst in den Schwanz.

Nun scheinen in rhetorischer Hinsicht die Schützengräben ausgehoben zu sein – die Vorwürfe auf der Pressekonferenz von SPD und Grünen auf der einen, Ihre Facebook-Kampagne auf der anderen Seite; das darf man wohl als kommunikative Eiszeit bezeichnen. Ist es derzeit überhaupt denkbar, in absehbarer Zeit aufeinander zuzugehen?

Ich finde, mit Persönlichem sollte das nichts zu tun haben. Wie man als Politiker eine Kulturveranstaltung, die eigentlich für sich selbst bewertet werden könnte, auf so eine Ebene ziehen kann, verstehe ich nicht.

Wie dürfen wir uns denn das Filmfest 2012 vorstellen? Wird sich an der Dauer etwas ändern? Oder doch an der Gästezahl? Wie werden Sie der finanziellen Einbuße begegnen?

Die Sache ist ja die, dass hierbei relativ viel miteinander zusammenhängt und das Budget sich ja in viele kleine Segmente aufteilt. An den Tagen sparen werden wir wohl eher nicht. Es gibt Festivals, die ihr Programm auf 16 Tage aufblasen – die haben dann mehr Zuschauer, aber auch weniger Festivalcharakter; für uns bedeutet ein Festival, dass zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort Menschen zusammenkommen. Das funktioniert hier klasse – das Publikum kommt an die Filmemacher heran.
An irgendeinem Punkt – das habe ich vor zwei Jahren auch schon gesagt – ist eine Schwelle unterschritten. Eine, unter der Gäste, die eine bestimmte Bedeutung in der Filmbranche haben und die nicht so ohne weiteres nach Oldenburg fahren würden, sondern sich auf anderen Festivals zeigen, das Oldenburger Filmfest dann als zu klein wahrnehmen würden. Wir hätten dann gar nicht mehr die Möglichkeit, auf diesem Level zu agieren. Wir laden Filme ein, die zu anderen Festivals auch eingeladen werden. Im Herbst findet das Festival in Rom statt, das vieles wegblockt, weil die viel Geld haben; in San Sebastian ist das große Festival, Deauville hat ein Festival… in diesem Gefüge sind wir aktiv, und Filmemacher müssen sich überlegen – bei amerikanischen Indies ist das so –, wo sie für ihre Europapremiere hingehen. Das sind wichtige Entscheidungen für sie, sie müssen sich vermarkten und sehen, dass sie wahrgenommen werden und Geld wieder einspielen können.
Und wenn wir auf diesem Level agieren wollen, dann muss ich auch eine gewisse Moral aufrechterhalten, was diese Leute hier zu erwarten haben. Sonst kann ich bestimmte Filme nicht einladen, sondern müsste sagen: „Ist wohl besser für euch, wenn ihr in Rom lauft“. Aber wenn alles gut ist, können wir hier etwas machen, was diese Größenordnung erhalten kann. Aber das ist etwas, was Leute dann mittragen, verstehen und unterstützen müssen.

Und was ist mit der Kritik, dass man keine Promis für viel Geld einfliegen lassen muss?

Wir kriegen es ja von allen Seiten: Da gibt es Leute, die sagen: „Das sind ja nur B- und C-Promis“, und andere sagen: „Diese Stars, die braucht ihr doch nicht“ – ich denke immer: Leute, das ist Independentfilm; wir haben Gäste wie, im letzten Jahr, Matthew Modine – das ist für meine Definition ein Level von Bekanntheit und Starruhm, den ich gar nicht höher haben will. Oder Ted Kotcheff – da haben viele Kritiker mir gesagt: „Das war ja eine Superentdeckung!“ Das sind Leute, die uns interessieren; wir haben gar keine Lust, eine Wim-Wenders- oder Mike-Leigh-Retrospektive zu machen; nicht weil ich die doof finde, sondern weil die auf anderen europäischen Kunstfestivals unterwegs sind und ich lieber Gäste hole, die nicht allgegenwärtig und präsent sind. Da finde ich es unqualifiziert, zu sagen: „Sind doch alles C-Promis“.

Lehnt man sich also zu weit aus dem Fenster, wenn man sagt, dass es auf diese Alternativen hinausläuft: Entweder eine Förderung auf einem höheren Niveau oder das 19. wird das letzte Filmfest in Oldenburg gewesen sein?

Klar lehnt man sich damit weit raus, vor allem, weil das überhaupt nicht mit dem zusammengeht, was die Oldenburger dazu meinen und wie viel guten Rückenwind man von der Seite kriegt. Man muss wissen, wie man agieren will und eine Basis dafür schaffen – und da gehört auch eine bestimmte Kulturpolitik dazu. Ich muss mich jetzt erstmal mit den Sponsoren auseinandersetzen und sagen: „Okay, ich hoffe, ihr bleibt erstmal dabei“ – wir müssen ja eine Balance herstellen, die viele Komponenten mit einbezieht. Also, wenn wir uns entscheiden, nur klein und Indie zu machen und nicht mehr interessant sind für die regionale Presse, dann sind wir auch nicht mehr interessant für die Sponsoren – das potenziert sich alles. Ich finde, die Mischung, die wir machen, hat ein höheres Ansehen verdient als das, das wir von den Mehrheitsfraktionen im Rat erhalten.