Der Letzte seiner Art

Private Initiatoren wollen Anton Günther, dem berühmtesten der Oldenburger Grafen, ein Reiterstandbild spendieren. Da stellt sich die Frage: Wer war dieser Graf eigentlich – und vor allem: Was war er nicht?

Hoch zu Ross: GAG blickt auf sein Volk herab, hier noch zweidimensional. FOTO: M. Nolte

Hoch zu Ross: GAG blickt auf sein Volk herab, hier noch zweidimensional. FOTO: M. Nolte

Fragt man einen x-beliebigen Oldenburger, was er vom 1667 verstorbenen Grafen Anton Günther weiß, lautet die Antwort mit hoher Wahrscheinlichkeit so ähnlich wie „Er hat Oldenburg aus dem Dreißigjährigen Krieg rausgehalten“, häufig ergänzt durch den Zusatz „… indem er dem feindlichen Feldherren Pferde geschenkt hat“, vielleicht kennt der eine oder andere auch noch den Namen dieses Feldherrn, Tilly. Dass dies eine große politische Leistung Anton Günthers in einer Zeit, in der weite Teile des Reichs vom Krieg verheert wurden, darstellt, ist unumstritten – auch wenn es mit ein paar Pferden wohl kaum getan war; diplomatisches Geschick gehörte mit Sicherheit auch dazu, aber sei’s drum.

Der ehemalige Landtagspräsident Horst Milde, der als Sprecher der Denkmalinitiative fungiert, bringt diesen Aspekt aus der Regentschaft des Grafen als Hauptargument für die – für ihn längst überfällige – Ehrung vor: „Er ist eine Idealgestalt, was Friedenspolitik angeht“, sagt der SPD-Politiker: „Davon würde ich mir heute mehr wünschen.“ Eine Idealgestalt sei er tatsächlich, sagt der Historiker Heinrich Schmidt, meint es aber anders als Milde. Graf Anton Günther sei von späteren Geschichtsschreibern zu einer Lichtgestalt emporgehoben worden, einem Heimatsymbol, einer Klammer, die das „oldenburgische Volk“ einen sollte.

Das Oldenburgische als Wille und Vorstellung

Ein Volk, dass es so gar nicht gibt und auch nie gegeben hat, erklärt Schmidt: Die Grafschaft und das spätere Herzogtum sei ein „zusammenpolitisiertes Land“, die Vorstellung eines „oldenburgischen Volkes, in dessen Herzen Graf Anton Günther lebt, erfunden“. Die südoldenburgischen Gebiete etwa seien ohnehin erst 1803 dazugekommen, haben also mit dem Grafen nichts zu tun; im Jeverland erinnert man sich viel mehr an das Fräulein Maria als an den Herrn Anton Günther. Der Graf als romantischer Übervater eines herbeigeschriebenen Heimatlands – „Mir persönlich ist das zu sentimental und gefühlsselig“, meint Schmidt.

Nun gut, das Denkmal soll ja auch nicht in Jever oder Cloppenburg stehen, sondern in Oldenburg. Aber auch dort stellt sich die Frage, inwieweit es einer Stadt gut zu Gesicht steht, einem ehemaligen Feudalherrn Ehrerbietung zu zollen, zumal im 21. Jahrhundert. Das Verhältnis zwischen Städten und ihren Landesfürsten war bereits im Mittelalter zumeist ein gespanntes, ein mühseliges Ringen um Abgaben, Privilegien und Selbstverwaltung, die nicht selten in kriegerische Auseinandersetzungen mündeten. So weit kam es in der Residenzstadt Oldenburg zwar nicht, aber auch hier hielten die Grafen die Vertretung der Bürger an der kurzen Leine; Anton Günther dürfte, wie die meisten Adligen, weniger an ihrem Wohlergehen als an der steuerlichen Basis und Absicherung seiner Herrschaft interessiert gewesen sein.

Das ist ein Punkt, der sicher auch bei den Verhandlungen mit Tilly eine Rolle gespielt haben dürfte. Das schmälert zwar nicht seine Leistung, die Stadt gerettet zu haben – ob ihn das allerdings gleich zu einem „Friedensengel“ macht, wie jetzt in der Standortdiskussion zu lesen ist, bleibt fragwürdig. Es geht in der Denkmaldebatte offenbar ohnehin schon nicht mehr um das „ob“, sondern nur noch um das „wo“ – die NWZ fragt ihre Leser bloß noch nach dem besten Platz, nicht nach dem Sinn des Bronzegrafen. Für Milde kann der angemessene Standort ohnehin nur ein Platz vor dem Schloss sein: „Man muss da an den Ursprung zurückgehen, und das Schloss war seine Residenz.“

Aller Denkmalinitiativen sind drei

Vor dreieinhalb Jahrhunderten, könnte man hinzufügen… seitdem ist viel Wasser die Hunte heruntergeflossen. Und in dieser Zeit sind schon zwei ähnliche Vorstöße, Anton Günther ein Denkmal zu setzen, recht kläglich gescheitert: Der erste Versuch datierte in den frühen 1840er-Jahren und wurde in der demokratischen Bewegung von 1848 wieder eingestampft. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es eine weitere Initiative, die aber nie auch nur annähernd genug Geld zusammenbekam – sie wurde 1927, also zu Zeiten der Weimarer Republik, wieder aufgelöst. Dass nun – nachdem zu Zeiten, in denen ein weitaus stärkerer nationalistischer und patriotischer Zeitgeist herrschte, alle Versuche gescheitert waren – im Jahr 2011, in dem die Herrschaft des Adels seit fast einem Jahrhundert Geschichte ist, die Pläne für ein Denkmal wieder angestoßen werden, und dann auch noch in dieser klassischsten aller Herrschaftsposen, mag man als Treppenwitz der Geschichte abtun. Von differenziertem und kritischem Umgang mit der Geschichte zeugt es eher nicht.

Denn viel bleibt bei näherer Betrachtung nicht vom Über-Grafen, der oft als Sinnbild des „Pferdelandes Oldenburg“ gesehen wird; schließlich kommt die Initiative aus der Ecke der Pferdeliebhaber und es war mit Sicherheit kein Zufall, dass das Standbild während des Rasteder Landesturniers vorgestellt wurde. Die vielgerühmte Oldenburger Pferdezucht, als deren Begründer der Graf nicht selten bezeichnet wird, sei indes eine Entwicklung späterer Zeiten, sagt Schmidt. Zweifellos sei der Graf ein Pferdekenner gewesen – was immerhin die Idee des Reiterstandbilds stützen würde, man könne sich „Anton Günther nicht gut zu Fuß vorstellen“ –, die Zucht allerdings ein Privatvergnügen eines adligen Landesherrn. Die bäuerliche Pferdezucht habe ihn nur insofern interessiert, als er sich ein Vorkaufsrecht auf Tiere vorbehalten hat. Ähnliches gilt für die bürgerliche Wirtschaft. Zwar führte Anton Günther den einträglichen Weserzoll ein und verdiente so am Handel des großen Nachbarn Bremen mit – die eigene Bürgerschaft förderte er hingegen kaum. Der Verschonung der Stadt im Krieg folgte keine Blütezeit, kein nennenswerter Aufschwung.

“Die sind nicht von hier!”

Woher aber kommt dann dieser Kult um einen Adelsherrscher, dessen Einfluss auf die Oldenburger Geschichte letzten Endes doch eher gering ist – und dessen Stellenwert in der Erinnerungskultur der Stadt ja ohnehin schon einen enormen Umfang hat; man denke nur an das unübersehbare Wandgemälde August Oetkens in der Kurwickstraße oder an die wiederhergestellte, höchst weihevoll gestaltete Grablege in der Lambertikirche? So recht habe er das alles selbst noch nicht durchschaut, sagt Schmidt, äußert aber eine Vermutung: Der Nachruhm Anton Günthers rühre vielleicht daher, dass er der letzte der Oldenburger Grafen war. Nach seinem Tod – er hatte keinen legitimen Erben hinterlassen – fiel die Grafschaft an die dänische Krone, sie wurde vom fernen Kopenhagen aus mitverwaltet. Eine Zeit, die oft als „Fremdherrschaft“ dargestellt wird, obwohl die dänischen Könige dem Hause Oldenburg entstammten, und die nach gut 100 Jahren vom Herrschaftsantritt der Dynastie der Schleswig-Holstein-Gottorfer abgelöst wurde, die zwar weitaus mehr sichtbare Spuren in der Stadt hinterlassen haben, aber wohl eben noch weniger richtige Oldenburger sind.

Anton Günther eigne sich also von allen Oldenburger Herrscherfiguren am ehesten als Heimatsymbol, sagt Schmidt. In einem Aufsatz von 1983 schrieb er: „Zur dreihundertjährigen Wiederkehr seines Todestages 1967, zur vierhundertjährigen seines Geburtstages 1983 kamen immerhin Anton-Günther-Ausstellungen in Oldenburg zustande – zeitgemäßere und instruktivere Formen der Erinnerung als ein Denkmal, zu dem es vermutlich heute so wenig reichen würde wie Anfang unseres Jahrhunderts oder 1844.“ Dass es 28 Jahre später doch wieder soweit ist, habe ihn „ausgesprochen überrascht“, sagt Schmidt; erklärbar sei das nur damit, dass es von „zahlungskräftiger privater Initiative“ ausgegangen ist – eine öffentliche Meinungsbildung habe ja nicht stattgefunden.

Blaupause für andere Denkmalvorhaben?

Tatsächlich ist den Rasteder Zuschauern ein fix und fertiges Denkmal vor- und hingestellt worden, man könnte auch böse formulieren: Vor den Latz geknallt; in die künstlerische Ausführung ist – außer den Initiatoren – niemand involviert gewesen. Den einen oder anderen Oldenburger beschleicht da der Verdacht, mit dieser Vorgehensweise sollte eine wütende Debatte wie beim geplatzten Vertriebenendenkmal umschifft werden: Wenn die Skulptur schon fertig ist, gibt es schon mal keine Auseinandersetzung um ihre Ausführung und auch keine ums Geld. Es handelt sich buchstäblich um den geschenkten Gaul; Milde betont, dass es so häufig ja nun auch nicht vorkomme, dass “eine Stadt etwas geschenkt bekomme, was sie selbst nicht schafft”. Dann vielleicht in ein, zwei Jahren ein privat finanziertes Vertriebenendenkmal, für das man nur noch einen Standort brauche? Die GAG-Frage als Testlauf für eine nächste Runde im jahrzehntelangen Streit? Solche Überlegungen seinen bloße Fantasien, sagt Milde, der zu den stärksten Befürwortern eines Vertriebenendenkmals zählt, mit Nachdruck – das eine habe mit dem anderen nichts zu tun.

Man wird sehen – der Kulturausschuss will sich mit dem Thema der Aufstellung von Kunst im öffentlichen Raum befassen. Es bleibt also abzuwarten, ob der Graf demnächst auf dem Schlossplatz oder anderswo vom hohen Ross auf sein Volk herabblickt. Diesem Bild ließe sich sogar noch etwas abgewinnen, meint Schmidt lächelnd: Ihm gefalle immerhin „die Vorstellung, dass der Graf gegen das ECE-Center anreitet“.

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Lesen Sie hierzu auch den Gastartikel des Oldenburger Historikers Stephan Scholz: “Graf Anton Günther auf den Sockel?“. Das Interview mit Heinrich Schmidt lässt sich in voller Länge auf www.geschichte-mitmachen.de nachhören.

Weitere Beiträge zur D-Frage? Hier:
• Was ist die Motivation des Alt-Oberbürgermeisters Horst Milde, sich so vehement für das Denkmal einzusetzen? Versuch einer Deutung.
• Muss die Geschichte des Oldenburger Landes neu geschrieben werden? Ein bislang unbekanntes Grafengemälde ist aufgetaucht.
Die Stimmen zum Denkmal im Filmbeitrag. Was sagen Denkmalsbefürworter und -kritiker?
Wer ist das Volk? Gedanken zu einer Livesendung im Nordwestradio zum Denkmalstreit.