“Mörderisches Programm”

Neue Saison, neues Glück? 2013 scheiterten die EWE Baskets knapp an Meister Bamberg; in der aktuellen Spielzeit versuchen sie es erneut – mit nahezu demselben Team.

Bereits in der ersten Saison in Oldenburg in der Erfolgsspur: Headcoach Sebastian Machowski. FOTO: mno

Bereits in der ersten Saison in Oldenburg in der Erfolgsspur: Headcoach Sebastian Machowski. FOTO: mno

Herr Machowski, Sie hatten nun ja reichlich Gelegenheit, die vergangene Saison Revue passieren zu lassen. Jetzt, mit entsprechendem Abstand betrachtet: Überwiegt da die Freude darüber, so weit gekommen zu sein – oder der Frust, so knapp gescheitert zu sein?

Ich habe sehr lange gebraucht, um die Enttäuschung darüber, dass wir es nicht geschafft haben, das Finale zu gewinnen und dreimal so knapp an Bamberg gescheitert sind, zu überwinden. Mittlerweile überwiegt aber die Freude und der Stolz darüber, was wir erreicht haben. Nicht nur wegen der Vizemeisterschaft – wir waren ja auch in der Hauptsaison lange Zweiter und haben das Final Four der EuroChallenge erreicht. Wenn man bedenkt, wo das Team hergekommen ist, nämlich vom zehnten Platz in der Vorsaison, dann sehe ich es rückblickend als sehr erfolgreiche Saison.

Wohl auch deswegen sahen Sie keinen Anlass zu tiefgreifenden Veränderungen: Nur ein einziger Spieler verließ das Team, und es gab auch nur einen Neuzugang. Die Nachdrücklichkeit, mit der Sie offensichtlich auf Konstanz setzen, ist bemerkenswert …

Es war schon in der vergangenen Saison ein großes Risiko, aus der Vorjahresmannschaft sieben Spieler zu halten. Nicht, weil die nicht erfolgreich gespielt hätten – es ist aber schwierig, da erstmal ein komplettes Umdenken einzuleiten, und die Mannschaft hat tatsächlich eine Weile gebraucht, die neue Philosophie umzusetzen. Kontinuität ist natürlich auch für die Fans wichtig, die manche Spieler ins Herz geschlossen haben – es ist im Basketball ja nicht häufig der Fall, dass man es schafft, Spieler über Jahre zu halten. Das zeichnet im Übrigen auch den Oldenburger Basketball und die Strukturen, die wir bei den Baskets über die letzten Jahre geschaffen wurden, aus – die Spieler bleiben gerne hier, auch wenn sie in Russland oder der Türkei mehr verdienen könnten. Darüber hinaus hat sich die Mannschaft in der vergangenen Saison durch eine hohe Homogenität ausgezeichnet, die man ihr auch angemerkt hat: Die treten als Mannschaft auf, die spielen als Mannschaft, und das auch noch mit Spaß. Da war es für uns nur logisch zu versuchen, das Gros dieses Teams zusammenzuhalten.

Es war also keine große Überzeugungsarbeit nötig, die Spieler hier zu halten?

Wir schaffen es natürlich nicht, wie südeuropäische Mannschaften oder mittlerweile auch Bayern München die Spieler mit Geld zuzuschütten. Da muss man andere Argumente finden, und ich denke, die haben wir im Verlauf der letzten Saison geliefert sportlich sowie im Umfeld. Außerdem sind Die Voraussetzungen sind hier für die ausländischen Profis, aber auch für die Talente im Nachwuchsbereich sehr gut – die Jugendarbeit, die als eine der besten in Deutschland ausgezeichnet wurde, das Trainingszentrum, die zahlreichen Festangestellten im Klub, die sich um die Mannschaft kümmern, damit wir uns auf den Sport konzentrieren können … die Spieler merken, dass hier alles für sie getan wird.

Forward Ronnie Burrell ist der einzige Abgang des Teams. Hätten Sie auch ihn lieber gehalten?

Wir wollen uns verbessern und sportlich weiterentwickeln – und auf dieser Position brauchten wir mehr Konstanz in unserem Spiel, daher haben wir ihm keine Verlängerung angeboten. Mit Nemanja Alexandrov haben wir einen sehr talentierten Spieler für diese Position gefunden, der uns hoffentlich das gibt, was wir von ihm erwarten.

Alexandrov hat vor wenigen Jahren eine komplette Saison ausgesetzt und mit einem Individualtrainer gearbeitet. Sehen Sie darin einen Ausweis seiner Professionalität oder muss man nicht vielleicht auch ein Fragezeichen hinter die Erwartungen setzen?

Er wurde, wenn man den Medien glauben darf, als der nächste Nowitzki aus Serbien gehandelt – und dann zog er sich einen Kreuzbandriss zu. Dadurch wurde er zurückgeworfen und hat sich die Auszeit genommen, in der er richtig investiert hat. Im letzten Jahr hat er komplett gespielt, in Belgien und Spanien – er ist körperlich wieder hundertprozentig fit. Nur diesem Umstand hatten wir es zu verdanken, dass wir in der Lage waren, ihn hierher lotsen zu können – vergleichbare Spieler seiner Generation spielen bei ZSKA Moskau oder Real Madrid, die zahlen für einen Spieler so viel wie wir für unseren ganzen Kader zusammen.

Ist es aus Sicht des Trainers einfacher, einem funktionierenden Team einen neuen Spieler hinzuzufügen oder fängt man lieber bei Null an?

Fast alle Manager, mit denen ich in den vergangenen Wochen gesprochen habe, haben mich zu meinem „ruhigen Sommer“ beglückwünscht: Da die ganze Mannschaft zurückkomme, müsse ich ja nicht viel tun. Wir haben uns aber sehr schwergetan, dieses eine fehlende Puzzlestück zu finden – das war fast schwieriger und aufwendiger als im vergangenen Jahr, als nur ein Spieler einen laufenden Vertrag hatte und wir das Team gewissermaßen neu zusammenbauen mussten. Die Zukunft wird zeigen, ob wir – das Trainerteam und die Geschäftsführung – mit dieser Entscheidung richtig lagen.

Zu ihrer Philosophie gehört, dass Sie den Spielern möglichst viele Freiräume und sie auf dem Feld weitgehend eigenverantwortlich agieren lassen. Das schien in der vergangenen Saison durchaus ein Erfolgsrezept zu sein – könnte es nicht aber auch die immer wieder mal zu beobachteten Chaosphasen in manchen Partien erklären?

Ich denke nicht, dass uns grundsätzlich die Linie gefehlt hat. Die Kehrseite der Medaille ist natürlich, dass es, wenn man viele Freiheiten einräumt, schwierig ist, in entscheidenden Situationen auf disziplinierte Umsetzung von taktischen Details zurückzufallen. Unser Ansatz ist, dass die Spieler Spaß am Spiel haben und sich frei entfalten können sollen. Wenn wir sie in ein taktisches Korsett zwängen und wie Roboter spielen lassen, wäre das Ergebnis fatal. Das betrifft ja vor allem die Offensive, und da haben wir in der vergangenen Saison gezeigt, dass wir Spiele gewinnen können. Noch schwerer wiegt die überzeugende Defensivleistung während der gesamten Saison – wir haben mit die wenigsten Körbe kassiert und offensivstarke Mannschaften wie Ulm und Bamberg in den Playoffs 20 Punkte unter ihrem Saisonschnitt gehalten. Da geht es dann nicht mehr um Freiräume, sondern um knallharte Teamdefense, die die Mannschaft umgesetzt und damit die Siege ermöglicht hat – wenn man hinten seinen Job erledigt, kann man sich vorne belohnen.

Kaum jemand hat der Mannschaft nach zwei eher durchwachsenen Spielzeiten das durchweg hohe Niveau 2012/13 zugetraut. Sehen Sie die Gefahr, dass die Erwartungshaltung bei den Fans nun entsprechend hochgeschraubt wird?

Ich denke, aufgrund der Tradition in Oldenburg und den wirtschaftlichen und strukturellen Möglichkeiten, die der Verein hat, gehören die EWE Baskets zu den Topteams in der Beko BBL. Da wollen wir auch in der kommenden Saison wieder hin. Ich denke aber auch, dass die Fans gut einschätzen können, was wir in der vergangenen Saison geleistet haben. Die Playoffs sind noch zehn Monate entfernt; zum Saisonstart geht es erstmal darum, die Euroleague-Qualifikation zu gewinnen. Wenn wir ein Ziel haben, dann ist es, das, dass wir in jedes Spiel zu gehen, um es zu gewinnen – egal, wer der Gegner ist. Wir bereiten uns immer akribisch auf den nächsten Gegner vor; welchen Platz wir am Ende belegen, wird sich dann zeigen. Das ist keine norddeutsche Zurückhaltung, sondern ein realistischer Ansatz.

Wie schätzen Sie die Liga ein?

Die Liga wird immer stärker: Bayern München rüstet unheimlich auf, die haben für zwei Mannschaften eingekauft. Bamberg wird sicher wieder stark sein, Berlin wird versuchen, nach dem Auswechseln der ganzen Mannschaft wieder an alte Erfolge anzuknüpfen … jedes Spiel wird wichtig, und keinen Gegner darf man unterschätzen. Und für die Fans ist es sicher spannend, dass man nun mit Artland, Bremerhaven und nun auch Vechta viele Nordderbys hat und die neue große Halle zum permanenten Zuhause wird. Das ist eigentlich wichtiger als irgendwelche Ziele vorzugeben.

Sie erwähnten es eben bereits: Die Baskets haben die Chance, ins Oberhaus des europäischen Basketballs vorzustoßen – die Euroleague. Ist die Teilnahme und das Erreichen der Endrunden ein erklärtes Ziel oder eher ein „nice to have“?

Wir wollen erstmal die Qualifikation schaffen. Wir fahren ja nicht dahin mit dem Gedanken, dass wir da nichts verloren hätten. Es ist natürlich schwierig, wenn man weiß: Wenn wir verlieren, spielen wir trotzdem im Eurocup. Aber die Euroleague ist auch ein Ziel, das die Spieler vor Augen haben – die wollen da hin, dafür haben sie letztes Jahr gekämpft, und diese Chance nun einfach abzutun, wäre falsch.

Nervt denn eigentlich nicht, wenn man sich trotz des Kraftakts der Vizemeisterschaft dennoch erst qualifizieren muss – eine weiter hinten platzierte Mannschaft wie Bayern München aber eine Einladung bekommt?

Die Euroleague hat das eben so entschieden: Der Meister ist dabei, der Vizemeister darf sich qualifizieren und die Wildcard ging an Bayern München. Das ist der Name, der zieht, aus bekannten Gründen.

Sie hatten sich während der Playoffs kritisch zum engen Zeitplan im Profibasketball geäußert. Angenommen, die Saison verläuft sehr erfolgreich: Erreichen der Top 16, vielleicht sogar der Finalrunde in der Euroleague, Liga-Playoffs, Pokal – da kommen bis zu 70, 80 Spiele in nicht einmal neun Monaten zusammen. Ist diese Dichte eigentlich noch zu stemmen?

Die Bamberger spielen von Anfang Oktober bis etwa Mitte März fast durchgehend drei Spiele pro Woche. Bei uns war es in der vergangenen Saison ab Februar so. Das ist ein mörderisches Programm. Wenn man sich das beim Fußball anhört mit den englischen Wochen, die alle paar Wochen mal anstehen – das ist für Basketballer Standard. Und da besteht die Gefahr, dass es zu einem mentalen und körperlichen Verschleiß kommt – dann treten Verletzungen auf, es kommt zu Unkonzentriertheiten, man bewegt sich im roten Bereich. Umso wichtiger ist es, eine kompakte Mannschaft zu haben, mit vielen Leistungsträgern, auf die man die Verantwortung verteilen kann. Wir wollen ja natürlich international spielen – die Spieler wollen es, der Verein will es, die Sponsoren; es ist dann ein Stück weit die Kehrseite, dass die Belastung sehr hoch ist.

Die doppelte Anzahl an Zuschauern in der neuen Halle bedeutet ja auch eine verbesserte Einnahmensituation. Haben Sie dadurch als Trainer größeren Spielraum bei etwaigen Verpflichtungen?

Unsere finanziellen Möglichkeiten sind gut, aber im Vergleich zu den großen Euroleague-Mannschaften nicht konkurrenzfähig. Die neuen Halle macht den Standort attraktiver und kann ist auch ein weiteres Argument, wenn wir Spieler hierher holen wollen. Aber das alles heißt nicht, dass wir automatisch mehr Geld für das Team haben. Zumal es immer kostspieliger ist, ein Team zu halten als ein neues zusammenzustellen.

Eine Frage zum Abschluss: Julius Jenkins, einer der Schlüsselspieler der vergangenen Saison, ist aus dem Urlaub zurück, aber ohne seine Zöpfe. Ein schlechtes Omen? Oder neigen Basketballer nicht so sehr zu Aberglauben wie andere Sportler?

Ich glaube nicht, dass Samson seine Kraft verloren hat. Im Gegenteil: Er wird nach dem Verlust von soundsoviel Kilo Haarmasse vielleicht noch leichtfüßiger aufspielen. Und er sieht nicht nur jünger aus, sondern spielt bestimmt auch so.