Die Pizza-Connection

Vor dem Arbeitsgericht wehrte sich in dieser Woche ein ehemaliger EWE-Angestellter gegen seine Kündigung. An sich kein großes Thema – würde der Fall nicht erneut Fragen nach dem internen Strukturen des Konzerns und dem Verhalten seines Vorstandschefs aufwerfen.

Ist ein Angestellter, der 400 Mitarbeiter unter sich hat, in leitender Funktion tätig? Was für den Laien zunächst wie eine Scherzfrage klingt, stellt im juristischen Sinne den Scheideweg zwischen normaler Kündigungsmöglichkeit eines Arbeitsverhältnisses und dessen Auflösung gegen Zahlung einer Abfindung dar. Dabei geht es um Geld, natürlich – vor dem Arbeitsgericht Oldenburg ging es am Donnerstag jedoch indirekt um mehr. Nämlich um die Frage: Wollte die EWE einen allzu kritischen Mitarbeiter loswerden?

Christian Clasen war gerade einmal 636 Tage als Leiter der Abteilung Netzabrechnung und Inkasso bei der EWE Netz tätig, als er ein Kündigungsschreiben erhielt, fristgerecht mit einem halben Jahr Vorlauf zum 31. März 2013. Gegen die klagte der 51-Jährige. Die Kündigungsgründe nennt sein Anwalt „unsubstantiiert“. Für den juristischen Laien: etwas dünn.

Die Kündigung sei verhaltensbedingt gewesen, heißt es von Seiten des Konzerns; Clasen habe einen allzu „autoritären Führungsstil“ an den Tag gelegt. Es ist schwer vorstellbar, dass in jenen geschäftlichen Sphären, in denen Führungskräfte wie Clasen mit Jahresgehältern im sechsstelligen Bereich agieren, so etwas häufig negativ ausgelegt wird – und die von den EWE-Anwälten vorgebrachten Punkte klingen dann auch eher nicht so fürchterlich schlimm. Clasen habe „Kritik beiseite gewischt“, heißt es. Fachliche Probleme seien ungeklärt geblieben, Mitarbeiter nicht zurückgerufen worden. Er habe in Sitzungen „Monologe gehalten“. Dass das alles vor Gericht eventuell wenig hermacht, räumten die Konzernvertreter selbst ein.

Die Vorsitzende Richterin machte auch bereits vor dem Urteil klar, dass sie diese Gründe für nicht ausreichend hält – die zentrale Frage war nun, ob Clasen ein leitender Angestellter im Sinne des Kündigungsschutzes gewesen sei. In diesem Falle kann das Arbeitsverhältnis jederzeit aufgelöst werden, ohne Angabe von Gründen – diese Unsicherheit wird in der Regel durch das hohe Gehalt, gegebenenfalls auch eine Abfindung abgemildert. Der EWE schwebte, sollten sie mit der Kündigung nicht durchkommen, eine Zahlung von 40.000 Euro vor.

Ohne Strom kein Mampf: Wer mit dem EWE-Chef befreundet ist, darf offenbar auch mal länger mit den Rechnungen aussetzen. FOTO: mno

Ohne Strom kein Mampf: Wer die richtigen Freunde hat, darf offenbar auch mal länger mit den Rechnungen aussetzen. FOTO: mno

Für Clasen liegen die Gründe für seinen Rausschmiss aber ohnehin ganz woanders. Der „Kleinen Osteria“, einem italienischen Lokal in Rastede, ging es im Februar 2008 wirtschaftlich so schlecht, dass der Besitzer die Stromrechnung nicht mehr zahlen konnte. Jeder EWE-Kunde, der schon mal in einer solchen Lage war, weiß, was dann folgt: Mahnung und bei fortgesetzter Nichtzahlung Unterbrechung der Stromversorgung bis zur Begleichung der Rechnung. Rund 100-mal pro Jahr greift die EWE eigenen Angaben zufolge allein im Oldenburger Stadtgebiet zu diesem Mittel, für dessen Prozedere eindeutige Regeln vorlägen. Laut EWE-Sprecher Christian Blömer trete eine solche Sperrung normalerweise nach sechs bis acht Wochen ein.

Die ins Schwimmen geratene „Kleine Osteria“ aber zählte zu ihren Gästen einen prominenten Oldenburger: EWE-Vorstandsvorsitzender Werner Brinker, ebenfalls in Rastede wohnhaft. Der bat in einem internen, dem NDR vorliegenden Schreiben darum, dem Lokal den Saft nicht abzudrehen: „Da ich das Ehepaar […] sehr gut kenne, bürge ich für sie und werde für eventuelle Rückstände gerade stehen.“ Dazu wollte er monatlich über den Stand der Dinge informiert werden.

Das Restaurant hielt noch bis zum Herbst 2008 durch, dann war der Betreiber endgültig insolvent. Der ausstehende Rechnungsbetrag war auf eine vierstellige Summe aufgelaufen – die unbezahlt blieb, bis Mitarbeiter aus Clasens Abteilung 2011 darauf stießen. Nachdem er Kenntnis davon erhielt, habe Brinker die Summe umgehend bezahlt, sagt Blömer – für die EWE sei der Vorfall damit erledigt, zumal dem Konzern ja kein Schaden entstanden sei. Brinker habe „nachbarschaftliches Engagement“ gezeigt, sagte der EWE-Sprecher; er habe als Privatperson „Verantwortung übernommen“ und den Betrag bezahlt.

Nur sind bei dem Energiekonzern „Konflikte zwischen privaten und Unternehmensinteressen“ grundsätzlich zu vermeiden – so steht es im unternehmenseigenen Verhaltenskodex. Und wenn solche Konflikte nicht zu vermeiden seien, dürften zumindest die „Interessen der EWE nicht beeinträchtigt werden“. Ob es im Interesse des Unternehmens sein kann, über Jahre auf einer nichtbezahlten Rechnung sitzenzubleiben – darüber gibt es verschiedene Ansichten.

Auf die Verletzung dieser Compliance-Regeln hatte Clasen seinerzeit hingewiesen und offene Kritik an dem Vorfall geübt. Und damit, so vermutet er, den Zorn der Chefetage auf sich gezogen; auch eine Risikomeldung, die er aufgrund eines Bearbeitungsstaus abgab, habe für Unmut gesorgt. „Der muss weg“, soll Brinker im Mai 2012 über Clasen gesagt haben, dafür gebe es Zeugen, sagt sein Anwalt. Vier Monate später kam die Kündigung, gegen die Clasen klagte und die das Gericht nun für unwirksam erklärte.

Die EWE möchte das Arbeitsverhältnis nach den für leitende Angestellte geltenden Regeln nun auflösen, das Gericht hielt in seinem Urteil eine Abfindung von 33.000 Euro für angemessen. Inakzeptabel für Clasen, der eigentlich seinen Job behalten, zumindest aber eine weitaus höhere Abfindung erkämpfen wollte und daher Berufung angekündigt hat. Man müsse davon ausgehen, sagt sein Anwalt Jörg Peter Strasburger, dass der 51-Jährige nach diesem Vorgang in der Branche vermutlich keinen Job mehr bekomme. Er habe sich nichts zuschulden kommen lassen, sagt Clasen, und er wolle seinen Kindern sagen können, dass er für sein Recht gekämpft habe.

Warum Brinker erst nach drei Jahren seiner Bürgschaft nachkam, obwohl er doch monatlich unterrichtet werden wollte; ob er auch Zinsen und sonstige Gebühren gezahlt hat und warum dem Unternehmen kein Schaden entstanden sein soll, wenn es über einen so langen Zeitraum eine offene Rechnung gegeben hat – das sind Fragen, die, da sie nicht unmittelbar Gegenstand des Verfahrens waren, vor dem Arbeitsgericht unbeantwortet blieben.