Der raue Charme des Trostlosen

Der Journalist Gerhard Kromschröder setzt dem Emsland ein fotografisches Denkmal – Eindrücke einer Region, die nicht wenige eher meiden.

Neulich, irgendwo im Emsland. BILDER: Kromschröder/mno

Neulich, irgendwo im Emsland. BILDER: Kromschröder/mno

Eine Bushaltestelle mitten im Nirgendwo, lieblos aus Blech zusammengedengelt. Die in die Vorderwand hineingefräste Öffnung lässt sie wie eine in die Höhe gezogene Hundehütte erscheinen; die daneben platzierten Verkehrsschilder neigen sich zur Seite, als wäre ihnen sowieso schon alles egal. Wäre die Gegend, in der sie steht, nicht so offensichtlich feucht, würde man beim Betrachten des Fotos erwarten, dass ein vertrockneter Busch durchs Bild rollt. Das Mundharmonika-Lied von Ennio Morricone erklingt im – von der stetig wiederholten Bemühung dieses Stilmittels im Fernsehen abgestumpften – Innenohr. Die Bushaltestelle, um die es hier geht, steht im Emsland; das Foto von ihr, auf der man sie zu Gesicht bekommt, ohne Gefahr zu laufen, sich auf der Suche nach ihr in den nassen Weiten zu verirren, hängt in der Uni Oldenburg. Im Bibliotheksfoyer ist zurzeit die Ausstellung „Expeditionen ins Emsland“ des Journalisten Gerhard Kromschröder zu sehen.

Kromschröder war stellvertretender Chefredakteur des Satiremagazins Pardon, später investigativer Reporter und Redakteur beim Stern und schließlich Nahostkorrespondent, der während des ersten Irak-Kriegs aus Bagdad berichtete. Das Emsland, so möchte man meinen, klingt da als Ziel einer Fotosafari eher ein wenig – nun ja, klein. Das sieht Kromschröder allerdings anders: „Es ist doch viel spannender, im Kleinen das Große zu suchen und im Profanen das Erhabene, als sich nur mit den großen Dingen zu beschäftigen“, sagt der 71-Jährige.

Das Emsland – so nah und doch so fern; eine Region, die man nicht einmal durchqueren müsste, um irgendwo anders hinzukommen, da sie sich sehr gut umfahren lässt und von der man zumeist sowieso nur dann etwas hört, wenn gerade ein neues Kreuzfahrtschiff die Ems hinunterschleicht. Gerade einmal 40 Kilometer von Oldenburg entfernt und irgendwie doch ein ganz anderer Kulturkreis, ach was: eine ferne Galaxie. Als „Herz der Finsternis“ habe man den Landstrich damals, als Jugendlicher, wahrgenommen, erinnert sich der Satiriker und gebürtige Oldenburger Bernd Eilert, „fremdartig wie ein Mullahregime“. Der Schriftsteller Gerhard Henschel, der im Emsland zur Schule ging, bezeichnet es als „Schlumpfland“, und schon zu Kaisers Zeiten konstatierte ein durchreisender Geologe eine gewisse „Trostlosigkeit dieser Gegend“. Dass Kromschröder sich bei seinen Expeditionen mit seinem auswärtigen Kfz-Kennzeichen und dem Fotoapparat sogleich verdächtig machte und eine Reihe von Hinweisen auf sein undurchsichtiges Treiben bei der örtlichen Polizei eingingen, überrascht nicht wirklich.

Kromschröder hat nicht zufällig einen besonderen Blick für dieses merkwürdige, zwischen Ostfriesland, Osnabrücker und Münsterland sowie den Niederlanden eingeklemmte Niemandsland: Damals, in der Frühzeit seiner Karriere, arbeitete er als Lokalredakteur in Lingen und bei der Ems-Zeitung in Papenburg. Freunde hatte er sich mit seinen Recherchen nicht gemacht – zu sehr rüttelte er am regionsspezifischen Reaktionismus, am strengen Katholizismus, an der lange totgeschwiegenen braunen Vergangenheit, an der Erinnerung an die Emslandlager, die viele Einwohner lieber vergessen hätten. Und Freunde machte er sich auch jetzt mit der Ausstellung und dem zugrunde liegenden Bildband nicht – zumindest nicht im Landratsamt: Weder der ehemalige Landrat Hermann Bröring noch sein Nachfolger und CDU-Kollege Reinhard Winter waren im Sommer zur Eröffnung der Fotoschau im Moormuseum in Groß Hesepe anwesend. Bröring, der im Vorstand des Museumsvereins sitzt, soll seinen Unmut über Kromschröders Werk recht laut Ausdruck verliehen haben; Winter schlug gemäßigtere Töne an, aber die Aussage war die Gleiche: Den Landesherrn war der Eindruck, den die Fotos vom Emsland vermittelten, viel zu negativ.

Kalt. Nass. Herbst. Hat trotzdem was. BILD: Kromschröder/mno

Kalt. Nass. Herbst. Hat trotzdem was. BILD: Kromschröder/mno

Wie etwa die besagte Bushaltestelle. Oder das Schild, das den Weg zu einer „Stadtmitte“ weist, aber auf einer Verkehrsinsel mitten im Nirgendwo zu stehen scheint; im Hintergrund ein endlos scheinendes Getreidefeld. Oder das wie ein Hochsicherheitstrakt wirkende Einfahrtstor einer Hähnchenmastanlage. Oder die Schützen, immer wieder Schützen, die – seien wir ehrlich – sowieso schon etwas grundlegend Fremdartiges an sich haben. Es sind beeindruckende und groteske, abweisende und pittoreske, surreale und banale, trostlose und zum Schreien komische Motive. Die Schildchen darunter nennen den stets kurzen Titel und den Aufnahmeort, mehr nicht – und mehr ist auch gar nicht nötig. Die Bilder sprechen für sich.

Die meisten Aufnahmen hat Kromschröder zu Bild-Paaren zusammengestellt, und daraus beziehen sie eine umso tiefgreifendere Komik, die sich schwer in Worte fassen lässt. Da zeigt ein Bild ein Mantatreffen, sein Äquivalent eine Vernissage – beide dokumentieren eine ganz ähnliche Szenerie, scheinen aber von unterschiedlichen Planeten zu stammen, allerdings auch das wieder nur auf den ersten Blick. Stolze Rassehundebesitzer auf der einen, ein Hunde-Kackverbotsschild auf der anderen Seite. Hier eine Reihe erschossener Feldhasen, dort ein Kaninchenzüchter, der liebevoll seinen Rammler knuddelt. Da eine Wiese, auf der ein Boot liegt, dort ein Feld, das derart überschwemmt ist, dass das Boot eher dorthin zu gehören scheint – stattdessen stehen dort rostige Lkw-Wechselbrücken in der nassen Schlammwüste herum und warten scheinbar vergeblich darauf, jemals abgeholt zu werden.

Die Fotos würden die wirtschaftliche Dynamik des Landkreises unterschlagen, beschwerte sich Winter; „unfair“ und „polemisch“ nannte sie Bröring, und der Sprecher des Landkreises beschwerte sich gar schriftlich bei einer Zeit-Autorin über die „verzerrte Sichtweise“ ihrer Besprechung von Kromschröders Bildband. Die Ausstellung im Groß Heseper Moormuseum, ursprünglich auf vier Monate Dauer angelegt, wurde nach sieben Wochen vorzeitig beendet – der Verdacht, dass dies auf Druck der CDU-Granden geschah, dürfte nicht allzu weit hergeholt sein.

Auch eine Form von Dynamik. BILD: Kromschröder/mno

Auch eine Form von Dynamik. BILD: Kromschröder/mno

Den meisten Emsländern allerdings schienen deren Attacken herzlich egal zu sein. Die Ausstellung war gut besucht, die Erstauflage des Bildbands schnell vergriffen, berichtet Kromschröder. „Die Menschen sind viel klüger, als die Politik erlaubt“, sagt der Journalist: „Die Zeiten scheinen vorbei zu sein, in denen die Politiker sagen konnten, wo die Menschen ‚buh’ rufen und wo sie applaudieren sollen.“ Und überhaupt kann man das Ganze ja auch als eine Art Liebeserklärung an die Region sehen – eine erwachsene Liebe, bei der man eben auch die Macken und Kanten des anderen nicht übersieht.

Letztlich riet auch Eilert, trotz seiner Jugenderfahrung, nach der man „da einfach nicht hinfuhr“, jetzt zum Gegenteil: „Mir hat Gerhard Kromschröder erst recht Lust gemacht, mich bei nächster Gelegenheit dort in seinem geliebten Emsland einmal genauer umzusehen.“ Und aus der geharnischten Reaktion der beleidigten Landräte solle man ohnehin nicht den Rückschluss ziehen, dass so etwas typisch emsländisch sei, meint Kromschröder: „Wenn man etwas ähnliches mit Oldenburg macht – ich könnte mir vorstellen, dass die Reaktionen möglicherweise ganz ähnlich ausfallen würden.“

Wer wollte ihm da widersprechen.

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Gerhard Kromschröder: “Expeditionen ins Emsland”, noch bis zum 31. Oktober im Foyer der Bibliothek der Uni Oldenburg (Campus Haarentor) zu sehen. Der gleichnamige Bildband ist bei Edition Temmen erschienen.