Die Massenvernichtungswaffe aus dem Baumarkt

Der beliebte Unkrautvernichtungswirkstoff Glyphosat vernichtet vielleicht noch vielmehr als das, wofür er entwickelt wurde, besagen neuere Studien: Vor allem im Zusammenhang mit Genpflanzen scheint es massive schädliche Auswirkungen zu haben. Ein US-Forscher auf Aufklärungsreise.

Kein Genmais. Noch nicht. FOTOS: M. Nolte

Kein Genmais. Noch nicht. FOTOS: M. Nolte

„Es geht um ein Herbizid, das wir alle kennen“, begrüßt Greenpeace-Mitarbeiter Dirk Zimmermann das Publikum, und viele der vielleicht 100 Anwesenden nicken. Es sind Landwirte aus der Region, die sich in dem Westersteder Gasthof versammelt haben, um sich über Glyphosat zu informieren: Ein „äußerst beliebtes und von den Kollegen massiv eingesetztes“ Unkrautvernichtungsmittel, sagt Ottmar Ilchmann von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die zu den Initiatoren der Veranstaltung gehört. Der Hauptredner des Abends ist der renommierte US-Wissenschaftler Don Huber, emeritierter Biologieprofessor und bekennender Genpflanzen-Kritiker. Seine Kernaussage: Glyphosat sei die am meisten missbrauchte Chemikalie überhaupt, in der Folge ihrer intensiven Anwendung seien Erkrankungen von Pflanzen und Tieren zu verzeichen. Huber befasst sich seit 20 Jahren mit dem Mittel und seinen Wechselwirkungen mit genmanipulierten Pflanzen.

Glyphosat, das ist die Massenvernichtungswaffe unter den Herbiziden. Es tötet alles, was grün ist; und auf dem so „gesäuberten“ Areal lassen sich dann, klinisch rein und ungestört von sonstigem Gestrüpp, Getreide, Baumwolle oder andere Nutzpflanzen anbauen. Der Saatgutriese Monsanto verdient im Idealfall sogar doppelt daran: Er produziert den Marktführer unter den glyphosathaltigen Unkrautvernichtern namens „Roundup“, der in 130 Ländern zum Einsatz kommt, und bietet zugleich genmanipulierte Kulturpflanzen an, die dagegen immun sind, sogenannte RR-Pflanzen („Roundup Ready“). Der Bauer kann ein solches Feld also immer wieder mit Glyphosat einnebeln, auch wenn das Getreide schon steht. Nicht einmal mehr pflügen müsste man – „Es wurde uns die ganze Zeit als Wundermittel verkauft“, sagt Ilchmann, der einen kleinen Stand mit Flyern, Broschüren und Infoheften aufgebaut hat.

Pflanzenkiller für den Hausgebrauch

Ein Wundermittel mit Langzeit-Nebenwirkungen. Seit 1974 wird der Wirkstoff eingesetzt, die meiste Zeit über wurde er als harmlos, ja sogar als gewinnbringend angepriesen; die Hersteller betonen bis heute, dass das Produkt sicher sei. Etwa 5.000 Tonnen Glyphosat landen jedes Jahr auf deutschen Äckern; Zahlen für Niedersachsen oder Weser-Ems gibt es nicht, das Mittel kommt aber mit Sicherheit auch im Nordwesten zum Einsatz, nicht nur auf Äckern, sondern auch in Kleingärten. Städte und Kommunen verwenden es mitunter zur Gehwegsäuberung – Oldenburg stellt ein positives Beispiel dar, die Verwaltung verzichtet seit den 80ern auf jegliche Herbizide.

Jeder kann Roundup oder ein anderes Glyphosatherbizid auf seine Auffahrt kippen, diese Mittel sind in jedem Baumarkt erhältlich. Die niedersächsische Landwirtschaftskammer nennt in einer Liste zugelassener Herbizide, mit denen sich Spargelfelder behandeln ließen, auch auf Glyphosat basierende Mittel wie Roundup oder Touchdown. Es ist übrigens der einzige Treffer, wenn man auf der Seite der LWK nach dem Stichwort „Glyphosat“ sucht, differenzierende oder gar kritische Texte zum Alleskiller findet man hier genauso wenig wie auf den Seiten des Bundesministeriums für Landwirtschaft. Dabei lassen neuere Studien ernsthafte Zweifel daran aufkommen – der Verkaufsschlager der Agroindustrie ist ins Gerede gekommen.

Die freie Auswahl: Was darf's sein, die Dosis für das Blumenbeet oder der Jahresvorrat für die Auffahrt? FOTO: privat

Die freie Auswahl: Was darf’s sein, die Dosis für das Blumenbeet oder der Jahresvorrat für die Auffahrt? FOTO: privat

Professor Huber erläutert das Problem detailliert, schon beinahe auf wissenschaftlichem Niveau; eine Power-Point-Tafel nach der anderen wirft er an die Wand. Und es ist kein ermutigendes Bild, das er zeichnet. Die von den Herstellern als heilsbringend propagierte Kombination von Herbizid und genmanipulierten Pflanzen schlägt, so die Quintessenz seiner Ausführungen, ins Gegenteil um; Huber zitiert Studien, nach denen RR-Pflanzen anfälliger für Krankheiten sind, Nährstoffe nur schlecht speichern können und einen enorm hohen Wasserverbrauch haben. Stoffe wie Mangan, Magnesium und andere, die für die Photosynthese gebraucht werden, sind nur in deutlich reduzierter Menge in der Pflanze nachweisbar. Und die Probleme übertragen sich auf nachfolgende Pflanzengenerationen. „Nach 30 Jahren exzessiver Glyphosat- und RR-Anwendung sehen wir epidemische Erkrankungen bei Weizen, Mais, Soja und anderen Pflanzen“, sagt Huber, und zwar schon im vierten aufeinanderfolgenden Jahr. Ertragseinbußen von bis zu zwei Dritteln sind die Folge.

Macht der Gewohnheit: Resistenz

Außerdem lassen sich ähnliche Entwicklungen wie bei Antibiotika oder Pestiziden machen: Die Pflanzen, die Glyphosat eigentlich vernichten soll, werden zunehmend resistent gegen den Wirkstoff. Bislang lasse sich das für 21 Pflanzenfamilien sagen, berichtet Zimmermann: „Das geht quer durch.“ Der Gentechnikexperte ist nicht nur Greenpeace-Aktivist, er sieht auch so aus: Auf seinem Oberarm ist der dreiäugige Fisch tätowiert, der im Abwasser des Atomkraftwerks bei den „Simpsons“ lebt. Das Mittel bringe „das komplette Agrar-Ökosystem durcheinander“ und schädige das Bodenleben.

Dass es da nicht gerade positive Folgen haben dürfte, wenn diese Pflanzen an Tiere verfüttert werden, ahnt auch der Nichtbiologe. Der Nährstoffmangel der Pflanzen überträgt sich auf die Tiere, sagt Huber und berichtet von einer hohen Zahl an Tot- und Missgeburten bei Kälbern in manchen Regionen Nord- und Südamerikas, wo Glyphosat und RR-Pflanzen wesentlich massiver eingesetzt werden als in Europa, nach Greenpeace-Angaben macht etwa RR-Soja 90 Prozent des in den USA insgesamt angebauten Sojas aus. Kühe litten unter Arthrose, manche sind unfruchtbar, andere alterten ungewöhnlich schnell. Eine Studie in Iowa zeigte, dass Schweine, die mit Genfutter ernährt wurden, teils starke Magenentzündungen aufwiesen. Der letztliche Beweis des Zusammenhangs zwischen Glyphosat und diesen Erscheinungen stehe zwar noch aus, aber Hubers Resümee steht fest: „Alle anderen bekannten Gründe können für diese Fälle ausgeschlossen werden.“

Evolution à la Glyphosat

Das alles klingt schlimm genug, aber nun wird es gruselig: Im Zusammenhang mit diesen Vorfällen hätten Tierärzte einen neuen Organismus entdeckt, von dem man überhaupt noch nicht wisse, um was es sich bei ihm überhaupt handele, berichtet Huber. Man habe ihn zunächst als Mikrofungus bezeichnet, aber mit einem Pilz scheint er nicht viel gemeinsam zu haben. Mit diesem Organismus könne man die beschriebenen Symptome gezielt herbeiführen, Hühnerembryonen ließen sich mit ihm problemlos töten. Und wer am Ende der Nahrungskette steht, muss Huber nicht extra erwähnen.

Den Zuhörern stockte zu diesem Zeitpunkt längst der Atem, einigen war anzumerken, dass ihnen dämmerte, was sie da seit Jahren auf ihre Felder ausgebracht haben. Dementsprechend gezielt waren die Nachfragen: Wie sind die Auswirkungen auf Milchvieh? Ist dieser Mikroorganismus durch Hitze abzutöten? Und welche Risiken bestehen für die Arbeiter, die in Baumschulen mit einem Rückentank Glyphosat per Hand versprühen? Genaue Angaben seien schwierig, es gebe noch nicht genug Studien über die Wirkung am Menschen, sagt Huber: „Die wären schon vor 30 Jahren überfällig gewesen.“ Und noch eine Frage, etwas Off-topic: Ob es sich um dasselbe Zeug handele, das das US-Militär im Vietnamkrieg eingesetzt habe. Nein, war es nicht: Das Mittel hieß Agent Orange und hatte andere Inhaltsstoffe. Aber geliefert wurde es auch von der Firma, die Roundup herstellt: Von Monsanto.

Noch sei das Problem nicht hier, sagt Zimmermann: „Aber wir sind auf dem besten Weg, es zu importieren.“ Schließlich drängen Konzerne ihre genmanipulierten Nutzpflanzen immer nachdrücklicher auf den europäischen Markt. Ein erster Schritt müsste sein, die Gefährlichkeit von Glyphosat neu zu bewerten – das steht 2015 an, Deutschland ist berichterstattendes Land. Als zweites werde Greenpeace sich dafür einsetzen, die Zulassung von RR-Pflanzen in der EU zu stoppen. Huber hatte in einem Brief die US-Behörden vor den Entwicklungen gewarnt, allmählich wachten sie auf und schauten genauer hin, sagt er. Alternativen? Keine, meint Huber: „Wir haben gar keine Wahl, wenn wir die landwirtschaftliche Produktion aufrechterhalten wollen. Wenn wir nicht gegensteuern, ist die ganze Industrie in ernster Gefahr.“

Und das ist ein Argument, das vielleicht auch diejenigen Stellen verstehen, denen Profit vor Umwelt geht.