Schaffe, schaffe, Koffer trage

Gäbe es einen Preis für den undifferenziertesten, nichthinterfragtesten und kritiklosesten Artikel – die Gmünder Tagespost wäre in der engeren Kandidatenauswahl dabei, und zwar ganz vorn. Allein schon für das Kunststück, in einem Text von überschaubarer Länge – und höchst kontroverser Themenstellung – so oft das Wörtchen “toll” untergebracht zu haben.

Wer kennt das nicht: Da kommt man mit seinen Schrankkoffern, seinen Hutschachteln und der Großwildjagdausrüstung am Bahnhof an, nur um sogleich festzustellen, dass man das ganze Zeug über eine unbequeme, steile Metalltreppe bugsieren muss, die die Bahn in ihrem stetigen Bemühen um größtmöglichen Kundenservice installiert hat, während die bis 2034 angesetzten Bauarbeiten am Bahnsteig andauern. Wer möchte da nicht nach einem boy rufen, der einem für ein Trinkgeld das Geschleppe abnimmt.

Hat schießlich schonmal geklappt. BILD: Bundesarchiv, Bild 134-C0265 / CC-BY-SA

Wohl dem, der seine Reise in Schwäbisch Gmünd beginnt, denn dort hat man sich etwas … nun, ganz was Tolles ausgedacht. Und zwar könnten sich die dort untergekommenen Flüchtlinge, die wegen der arbeitsrechtlichen Beschränkungen ja ohnehin nix zu tun haben, doch lieber nützlich machen, als Kofferkulis am Bahnhof etwa. Sind ja kräftige junge Männer. Lernen nebenbei deutsche Arbeitsdisziplin. Und mehr Geld als 1,05 Euro die Stunde brauchen sie doch ohnehin nicht.

Eine tolle Idee – daran lassen die Beteiligten keinen Zweifel aufkommen: „Das ist ein toller Dienst und sehr bemerkenswert. […] Es ist toll, dass Flüchtlinge eingebunden sind“, zitiert die Gmünder Tagespost den Landrat und lässt die humoristische Ader des Oberbürgermeisters aufblitzen: „Es ist toll, wenn das durch eine witzige und tolle Aktion geschieht, die beiden Seiten was bringt.“ In der Tat lächeln die in rot-weiße Shirts und Strohhüte gekleideten Gmünder Flüchtlinge, während sie unter den Blicken des strengen, aber gerechten Gouverneurs – nein: Landrats – zusammengeschnürte Packen von Stoßzähnen und Tigerfellen aus den Waggons wuchten.

Bei soviel Lobhudelei soll aber auch der Arbeitskreis Asyl zu Wort kommen, man will ja schließlich ausgewogen berichten. „Das ist eine tolle Idee“ sagt sogleich ein AK-Mitarbeiter, rückt sich den Korkhelm zurecht, überlegt es sich noch mal und degradiert das Projekt anschließend – ein bisschen Salz in der Suppe muss sein – von „toll“ zu „gut“: „Wir haben schon die ganze Zeit überlegt, wie wir die Flüchtlinge einbringen sollen, das ist jetzt eine gute Möglichkeit.“ Und was sagen die Flüchtlinge selbst? Überraschung: „Das ist echt ein tolles Projekt“, sagt Kazim aus Afghanistan, eingekeilt zwischen Landrat und OB und der einzige Zitatgeber des Zeitungsartikels, dessen Nachname ungenannt bleibt.

Die Kulis, nein: Flüchtlinge finden das Projekt so toll, dass sie sich freiwillig gemeldet haben, um für eine Goldrandmünze pro Stunde Koffer zu schleppen – und damit die Begeisterung bei den Trägern nicht gleich völlig überschnappt, hat der OB für sie einen väterlichen Rat parat. „Er nimmt jedoch auch die Flüchtlinge in die Pflicht: ‚Wir testen das Projekt bis Ende August. Wenn es gut läuft, machen wir weiter. Das hängt natürlich auch von Ihnen ab’, sagt er zu den Helfern“, schreibt die Tagespost. Ansonsten gibt es vermutlich Stockschläge auf die nackten Fußsohlen oder gleich die neunschwänzige Katze.

Fürwahr eine tolle Idee, da sind sich mal alle einig – und zugleich eine, die sich sicher noch ausbauen ließe, schließlich habe man „in Gmünd viele Flüchtlinge, und es werden stetig mehr“, wie der OB sagt. Ich helfe gerne mit konstruktiven Vorschlägen: Viele Flüchtlinge, das klingt nach vielen Problemen; vielleicht lässt sich ja eine Askari-Truppe aufstellen, die dann für Ordnung sorgt. Oder die Flüchtlinge könnten demnächst auch an Gmünder Hotels als Kofferträger eingesetzt werden – da gäbe es statt des doofen Shirts und des Strohhuts, den sie am Bahnhof bekommen, gleich eine schmucke Livree. Oder warum nicht als Hausdiener oder Hausmädchen? Alles ehrbare Berufe, und wenn die Leute von Gesetzes wegen nicht so viel verdienen dürfen, arbeiten sie bestimmt auch für Kost und Logis.

Oder sie könnten – schließlich nennt auch ein Mitarbeiter der Bahn das Projekt eine „tolle Idee“ – auch gleich in den Zügen selbst eingesetzt werden: Als Luftzufächler mit großen Pfauenfeder-Fächern. Falls im ICE mal wieder die Klimaanlage ausfällt.

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