Skandal im Schneckentempo, Rücktritt im Zeitraffer

Bundespräsident Horst Köhler ist wegen seiner umstrittenen Äußerungen zu Kampfeinsätzen der Bundeswehr zurückgetreten. Eine Entscheidung, die allseits als “überraschend” bezeichnet wird – vermutlich wegen des Umstands, dass bislang noch kein Bundespräsident zurückgetreten ist. Dabei ist das eigentlich Überraschende daran, dass es so lange gedauert hat, bis das Thema in den etablierten Medien überhaupt zum Thema wurde – und die Angelegenheit dann ohne das ganze Trara wochenlanger Debatten in ein paar Tagen über die Bühne ging.

Manch ein Politiker wurde in der jüngeren Vergangenheit der Lüge überführt und blieb trotzdem noch Monate an seinem Stuhl kleben; manche überlebten heftigere Skandale nahezu schadlos und blieben noch Jahre im Amt. Ich bin mir sicher, dass auch Köhler ziemlich geschmeidig aus der Nummer herausgekommen wäre, wenn er sich für eine “unglückliche” oder “missverständliche” Wortwahl entschuldigt und seine Aussagen stringent auf die Situation vor Somalia hingebogen hätte.

Nicht einmal Ärger durch etwaige juristische Ermittlungen muss er fürchten: Die Strafanzeigen wegen des Verdachts auf Verstoß gegen Art.26(1)GG, die auf Initiative eines Bloggers, der eigens zu diesem Zweck eine Internetseite einrichtete, an die Bundesanwaltschaft geschickt wurden, ziehen keine Konsequenzen nach sich, wie die Behörde mir auf Anfrage mitteilte:

Die Prüfung des Sachverhalts hat keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat ergeben, so dass den Strafanzeigen seitens der Bundesanwaltschaft keine Folge geleistet wurde.

Zu dieser Einschätzung kam die Bundesanwaltschaft bereits am Freitag, nachdem der betreffende Aufruf des Bloggers erst am Dienstag veröffentlicht worden war. Einen weiteren Tag dauerte es, bis der Twitter-Draht langsam anfing zu glühen, am Donnerstag dann stießen die ersten Medien darauf  – und ab Samstag gab es sowieso nur noch ein Thema: Lena, Lena und nochmal Lena.

Beste Voraussetzungen also, um schnell wieder aus dem unerwünschten Rampenlicht zu kommen. Andere waren da wesentlich länger und wesentlich stärker unter Beschuss. Um so konsequenter, dass Köhler sich zu diesem Schritt entschlossen hat.

7 comments to Skandal im Schneckentempo, Rücktritt im Zeitraffer

  • Tzwän

    Jetzt, wo Wulff statt Leyen als möglicher Bundespräsi gehandelt wird, steht zu befürchten, dass David “Kommunistenjäger” McAllister die Nachfolge als niedersächsischer Ministerpräsident antreten könnte.

  • Die Bundesanwaltschaft hat meine Anfrage am Freitagnachmittag per E-mail beantwortet. Die Begründung für die Ablehnung der Anzeigen umfasst lediglich den zitierten Satz.

  • Die Antwort der Generalbundesanwaltschaft ist da. Dazu noch einmal meine Frage, hast Du ein Protokoll mit Datum (Gedächtnis, Aufnahme o.ä.) von der o.a. Antwort der Generalbundesanwaltschaft?

    http://bundeshorst.wordpress.com/antwortschreiben-des-generalbundesanwalts-auf-die-strafanzeige-gegen-horst-koehler

  • Naja, man könnte durchaus auch religiösen Wahn nennen.

    Aber wie gesagt: Es gibt einen Unterschied zwischen der Beschreibung eines angenommenen oder tatsächlichen Ist-Zustands – nämlich: Deutschland setzt seine wirtschaftlichen Interessen längst auch wieder militärisch durch – und der Formulierung eines grundsätzlichen “Anrechtes” einer Nation auf eine derartige Politik aufgrund ihrer Größe. Köhler hat letzteres getan.

  • Gibt es eigentlich Kriege, die NICHT auf wirtschaftlichen Interessen beruhen?
    NEIN!

  • Daran besteht kein Zweifel. Und auf eine merkwürdige Art und Weise sollte man Köhler für diese Ehrlichkeit vielleicht sogar dankbar sein.

    Aber gerade weil es die längst wieder gängige Praxis in unserem Land ist, Kriege auch aus wirtschaftlichen Gründen zu führen, ist es wichtig zu sehen, dass die Einforderung eines “Rechts” auf militärische Außenpolitik nicht folgenlos bleibt.

  • Dr. Inkognito

    Dr. Köhler wird für Dinge angezeigt, die Schröder eingerührt hat. Er hat nur die Wahrheit deutlich und für die ganze Welt hörbar ausgesprochen. Was er über Kriege sagte, ist die erschreckende Paxis in unserem Lande.

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