The Social Network after

Hihi, lustige Idee, einfach das Ende von Facebook zu verkünden, sich anschließend an einem geistigen Getränk nippend im Schreibtischstuhl zurückzulehnen und die ausbrechende Hysterie zu beobachten. Ach, wäre ich doch darauf gekommen… Hat sich ja relativ schnell und nur wenige Suizide später als Fake herausgestellt. Gleichwohl: Facebook wird eines Tages sicher dasselbe Schicksal ereilen wie andere Netzwerke vor ihm, und das vermutlich schon bald. Und was kommt dann?

In den vergangenen paar Jahren wurde ein Soziales Netzwerk nach dem anderen hochgehypet; es war mitunter nicht zu erkennen, was zuerst da war: Der Erfolg des Netzwerks oder die sich überschlagenden Berichte in den Medien. Vor Facebook war Twitter die große Nummer, davor StudiVz, davor wiederum galt – die Älteren werden sich erinnern – eine merkwürdige Scheinwelt namens Second Life als das “nächste große Ding”, davor MySpace; zwischendurch immer mal wieder noch kurzlebigere Modewellen wie Stayfriends, Xing oder Mr. Wong. Zwar klotzen alle mit nach wie vor steigenden oder zumindest stabilen absoluten Nutzerzahlen –  die sind allerdings nur bedingt aussagekräftig, denn da zählen schließlich auch die Karteileichen mit, die sich seit Jahren nicht mehr eingeloggt haben.

Alle hatten irgendwann den Höhepunkt ihrer Popularität überschritten; die Gründe dafür waren vielfältig. Wäre ich gezwungen, sie unter einen Oberbegriff zusammenzufassen, so würde ich sagen: Irgendwann schlug die Waagschale zwischen Neugier und Spaß auf der einen sowie Ärger, Langeweile und Nerv auf der anderen Seite zugunsten des Letzteren aus. Stayfriends bietet einen Großteil der spannenden Funktion nur bei kostenpflichtiger Mitgliedschaft an, was im Vergleich zu Konkurrenzprodukten wenig clever erscheint. StudiVz erschöpfte sich artikulativ irgendwann in der überbordenden Mitgliedschaft in aberwitzig vielen Gruppen mit Namen wie “weg mit hauswänden für betrunkene fahrradfahrer auf dem heimweg” – das Pinnwandgegurke jedenfalls wurde den kommunikativen Bedürfnissen der User offensichtlich zu wenig gerecht. Versuche, dieses Element mit dem “Buschfunk” zu stärken, kamen viel zu spät. Ich stelle gerade fest, dass ich StudiVz nicht einmal mehr in meiner Favoritenliste habe.

Und dann Twitter, das vor allem durch die Berichterstattung über Barack Obamas Wahlkampf seine Zahl aktiver Mitglieder gefühlt verzigtausendfachen konnte und den Vorteil hatte, wesentlich direkter und schneller Reaktionen auf eigene Einträge zu bekommen. Aber auch Twitter hat seine Schattenseiten: Ursprünglich dachte man, die normale Verhaltensweise wäre die, Leuten zu folgen, die Beiträge veröffentlichen, die für einen selbst interessant sind und hofft, dass die eigenen Beiträge wiederum für jemand anderen interessant sind. Soweit die Theorie, die etwa bis vor einem halben Jahr auch klappte.

Mittlerweile kommt einem indes so vor, als wären mindestens 80% aller User aus rein geschäftlichem Interesse dabei. Seit Monaten ärgere ich mich mit lauter Zwei-Tages-Followern herum, die mir Social-Media-Bücher, Urlaube oder Versicherungen verkaufen oder mich beim Netzwerken beraten wollen und mich nach kurzer Zeit beleidigt wieder entfollowen, weil ich nicht zurückfollowe (man verzeihe das überstrapazierte Denglisch). Ich bin mit meinem Sozialen-Netzwerk-Verhalten eigentlich ganz zufrieden, besten Dank. Zwar ist Twitter noch nicht auf dem absteigenden Ast und wird seinen großen Wert als Informationsmultiplikator noch länger behalten, ich halte es aber für wahrscheinlich, dass sich die Zahl der aktiven nichtkommerziellen Twitterer mittelfristig reduzieren wird, wenn diese die Lust daran verlieren.

Und nun Facebook: Das momentan angesagte Zuckerbergsche Netzwerk ist zwar datenschutztechnisch fragwürdig, aber es ist nun auch nicht so, dass man den Umgang mit den eigenen Daten nicht zu großen Teilen selbst in der Hand hätte. Jedenfalls schien es mir von Seiten der Politik ein wenig verlogen, auf Facebook, Street View und co. herumzuhacken, während man gleichzeitig Chips in Personalausweise implementiert und die Bürger am Flughafen nackig macht, um nur mal zwei Beispiele zu nennen. Aber ich schweife ab.

Facebook macht Spaß, nervt aber auch zunehmend. Damit ist nicht nur der impertinente “Freundefinder” gemeint, der einen Tag für Tag anquengelt, man solle ihm endlich das Passwort für sein E-mail-Konto mitteilen – nein, vor allem sind es die Spielchen, die mich stören. Ich meine nicht unbedingt Zeittotschläger wie “Farmville” oder “Mafia Wars”, die einem schlimmstenfalls die Nachrichtenleiste zuknallen (was interessiert es mich, ob Hinz oder Kunz irgendein obskures Objekt gefunden hat?) – nein, ich meine wesentlich fragwürdigere Spielchen. Zum Beispiel sowas:

Für diejenigen, die des Spanischen nicht mächtig sind: Nutzerin A hat Fragen über die mit ihr befreundete Nutzerin B beantwortet. Diese Fragen lauten u.a.: “Würde sie den Freund einer Freundin küssen?“, “Flirtet sie gerne?” und – festhalten bitte – “Würde sie beim ersten Treffen mit jemandem ins Bett gehen?” Sichtbar für alle Facebook-Freunde, in diesem Falle über 170. Wohlgemerkt: Die Dame, um die es bei diesen Fragen geht, war gar nicht in das Spielchen involviert.

Müßig zu sagen, dass ich, falls jemand einen solchen Fragenkatalog über mich beantwortet und vor der FB-Öffentlichkeit ausbreitet, nicht nur die  virtuelle Freundschaft mit ihm oder ihr beenden würde, sondern dass der- oder diejenige auch im realen Leben eine Menge Ärger mit mir bekommen würde. Ich weiß nicht, ob es Spiele dieses Kalibers auch schon in der deutschen FB-Gemeinde gibt, gehe aber davon aus – ich bin schon auf Ähnliches, wenngleich nicht ganz so Intimes gestossen.

Und damit kommen wir zum Problem. Während ich als FB-Nutzer ziemlich genau darauf achten kann, was ich hochlade oder welche Informationen ich preisgebe, habe ich auf so etwas keinen Einfluss, ebensowenig darauf, ob mich jemand auf Fotos markiert. Zwar kann ich das hinterher selbst wieder entfernen und ich kann Spiele blocken, wenn ich auf sie stoße, was aber i.d.R. erst dann der Fall ist, wenn der entsprechende Beitrag schon veröffentlicht ist – und das Internet ist ja alles andere als vergesslich. Wer solche “Freunde” hat und dann auch noch versäumt, seine Privatsphäre-Einstellungen anzupassen, wird etwa bei künftigen Bewerbungen seine helle Freude haben.

Und selbst wenn sich nun langsam neuartige und spezielle FB-Verhaltensregeln in bezug darauf, wie man mit der Privatsphäre seiner Freunde umgeht, etablieren würden (beim Fotomarkieren scheint dies schon der Fall zu sein), so sehe ich diese Entwicklung äußerst kritisch. Die Facebook-Betreiber werden an derartigen was-weiß-ich-wie-vielen derartigen Apps und Spielchen jedenfalls nichts ändern, denn damit verdienen sie ihr Geld.

Ich prognostiziere daher, dass sich – wie bei anderen Netzwerken zuvor – ein nicht unerheblicher Teil der aktiven und vielleicht etwas nachdenklicheren Nutzer von Facebook abwenden wird, wenn solche Dinge überhand nehmen. In diesem Fall wäre es mit bloßem Karteileichendasein nicht getan, man müsste sich richtig abmelden, um zu verhindern, dass in Abwesenheit Schindluder mit dem eigenen Profil getrieben wird. Eine hohe Zahl an Abmeldungen allerdings würde Facebook, dessen gigantischer Börsenwert im Wesentlichen auf Hoffnungen und Träumen basiert, ziemlich wehtun; man wird sehen, wie und womit das Imperium dann zurückschlägt.

Und um zur Eingangsfrage zurückzukehren: Was käme dann? Schwer zu sagen. Aber mit Sicherheit ein Netzwerk, dessen kommerzielles Fundament noch geschickter getarnt, dessen Datenschutzrichtlinien noch undurchsichtiger und dessen Möglichkeiten zur informationellen Selbstbestimmung des Nutzers noch eingeschränkter sind. Aber hey – Hauptsache, es ist hip.

4 comments to The Social Network after

  • Man darf gespannt sein.

  • Ich meine eigentlich nicht nächstes großes Social Network, wondern vielleicht eine ganz andere Art und Weise der Kommunikation, die nichts mit der momentanten SN zu tun hat. Wer weiß….

  • Das müssen sie allerdings. Aber wie gesagt: Problematisch wird es, wenn andere gewisse Sachen über einen – unvorteilhafte Fotos oder eben Antworten auf solche Spielchen – ins Netz stellen. M.E. ist Facebook gefragt, ein funktionierendes Tool bereitzustellen, mit dem man sich grundsätzlich davor schützen kann. Wird aber nicht passieren.

    Vielleicht erleben wir ja auch schon den Hype-Wandel: Habe schon länger nichts mehr über ein “nächstes großes Social Network” gelesen, dafür mehr über technische Spielzeuge aus dem Hause Apple.

  • ich bin der Meinung, dass es sowieso Zeit kommt, wenn diese Hype um soziale Netzwerke abflaut und durch etwas anderes ersetzt wird, so wie es früher mit anderen Ideen und Umsetzungen geschehen ist. klar ist auch dass auch spammer und Werbetreibende zunehmend versuchen werden FB und andere Netzwerke für ihre Zwecke zu missbrauchen, bzw es bereits tun. Aber so ist es auch bei jedem anderem System auch so.
    Und schließlich müssen die Leute selber wissen, was sie tun, wenn sie ihre Fotos und andere Sachen hochladen.

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